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Kapitel:

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3. Kapitel
 

Rund 1,5 Stunden sind vergangen. Bald ist es 20.30 Uhr. Linda und Patrik nähern sich in ihrem Hummer der Stadt Augsburg. Nach dem großen unfreiwilligen Stau auf der Autobahn vor dem Aichelberg hatte es zunächst danach ausgesehen, als ob sich die Unmenge der vielen wartenden Kraftfahrzeuge kaum jemals wieder auflösen könne, aber das scheinbare Wunder geschah dennoch: Zuerst waren die Pkw, Lkw und Motorradfahrer sowie sonstigen Gefährte zwar nur langsam in Trab gekommen, aber nach dem Passieren der eigentlichen Unfallstelle, die größtenteils bis dahin geräumt war, lief alles wieder einigermaßen flüssig. Im starken Verkehr erreichten Patrik und Linda Geschwindigkeiten bis zu teilweise über 100 Stundenkilometer, und in diesem Tempo kamen alle Fahrzeuge gut voran.

Linda-Lady hat ihren Outlaw im Verlauf der bisherigen Fahrt seit dem Stop gewaltig ins Nachdenken gebracht, denn schon hinter Ulm hatte sie ihm Offerten gemacht, die er in dieser Form von ihr nicht gewohnt war.
Ganz harmlos hatte sie den Gesprächsfaden geknüpft: „Patrik, ich habe hier auf dem Hintersitz ein Motorradheft gefunden. Hast Du das schon lange? Mir ist das bisher noch gar nicht aufgefallen.
Patrik, nachdem er kurz zu ihr hinübergeblickt hatte: „No, das ist noch ziemlich neu. Es lohnt sich aber, sich den Inhalt mal reinzuziehen. Da sind schöne Maschinen drin. Mich interessieren diese alten Dinger immer wieder. Ist schon toll, was die damals für Mopeds auf den Kurs gebracht haben. Dein Fat Boy ist übrigens auch abgebildet. Aber die anderen Spritzer sind im großen und ganzen keine Nummer schlechter. Schlag mal auf, da kannst Du ganz heiße Öfen finden von der Honda zur Suzuki, Ducatis, Aprilias, Moto Guzzis, BMWs aller Art, Nortens, wirklich alles Sehenswerte; so etwa in der Mitte sind einige ganz ungewöhnliche Rohre zu sehen.“
„Ja, ich habe es gefunden. Meinst Du den Wild Star? Hier steht es: Der Cruiser hatte 1600 Kubikzentimeter Hubraum. Davon gibt es heute noch einige. Du, ich habe die schon im Original erlebt.“
„Exakt, die Yamaha ist strong. Aber die meine ich nicht. Ich glaube, eine oder zwei Seiten weiter. Wirf mal `nen Look auf den Drifter. Den finde ich stark.“
„Wo denn, was ist das für eine Marke?“
„Zwei Seiten further, sag ich. Da kommt doch die Kawa, oder täusche ich mich so? Ich bin doch noch nicht verkalkt.“
„Ach so, die Kawasaki hat es Dir angetan. Gell. Von der sprichst Du.“
„Logo. Real ‘ne Rakete, oder?“
„Na ja, jetzt habe ich sie gefunden. Aber eine Rakete ist das eigentlich nicht, finde ich. Die ist doch mehr plump gebaut, wie mein Fat Boy, in der Art zumindest.“
„Mädchen. Na gut, Rakete ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber ein Hammer ist das auf jeden Fall. Solche Riesen haben die Jungs damals schon in den Vierziger und Fünfziger Jahren gebaut. Stell Dir das vor. Das ist fast 100 Jahre her, real strong. Das coole Teil hatte 1500 Kubik.“
„Du meinst den Hubraum - und Kubikzentimeter, gell.“
„Klar doch. Aber blätter noch mal zurück. Der Royal Star Venture XVZ 13 T von Yamaha ist noch eine richtige Keule: Das ist eine 1300er mit 98 PS und Trittbrettern. Hast Du sie gefunden?“
„Ja, hier ist sie. Tatsächlich. Die erinnert mich irgendwie an die amerikanischen Polizeimaschinen.“
„Genau, das war das Feeling, was das Bike vermitteln sollte.“
„Patrik, ich finde es toll, was Du über diese alten Motorräder alles weißt.“
„Echt?“
„Ganz echt. Wirklich. Ich finde, Du solltest dieses Wissen aber noch besser einsetzen, also, richtiger oder effektiver zumindest.“
„Besser, richtiger, effektiver?. Was soll das heißen? Komm, Baby, tell it me.“
„Ja, Patrik, versteh’ mich bitte nicht falsch. Aber ich habe mir darüber schon oft Gedanken gemacht.“
„Was hast Du gemacht? Ich verstehe Dich nicht. Worauf willst Du hinaus?“
„Ich möchte Dir deutlich machen, daß ich mir schon oft Gedanken über Dich gemacht habe. Einfach so.“
„Du hast Dir Gedanken über mich gemacht? Und?“
„Nichts und! Einfach so. Hin und wieder. Hast Du Dir eigentlich darüber schon einmal einen Kopf gemacht, bei Staus ein festeres Engagement einzugehen?“
„Fester, inwiefern fester?“
„Ich meine, ich könnte mir vorstellen, daß Du Dein Wissen über alte Motorräder und über alte Autos bei Stau-Events gut vermarkten könntest.“
„Gut vermarkten. Und was soll das heißen?“
„Zum Beispiel, also, darf ich Dir das Ganze mal erzählen? Aber Du darfst nicht böse deshalb sein. Ich mache nur einen Vorschlag, sonst nichts. Das ist lediglich ein Gedanke von mir. Entscheiden müßtest Du das sowieso. Darf ich?“
„Mach’ es nicht so spannend. Erzähl’ schon. Du willst doch was von mir, gell?“
„Also Patrik, wirklich. Wenn Du es nicht möchtest, dann schließen wir das Thema einfach wieder ab. So wichtig ist es ja jetzt auch nicht.“
„Ich werde noch wahnsinnig, Linda. Jetzt talk endlich. Was liegt an? Sprich nicht nur in Andeutungen. Mach’ mal einen Knopf an die Jacke, oder so ähnlich heißt das bei Euch Schwaben doch. Stimmt`s?“
„Ja, aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich denke nur an Deine Zukunft.“
„An meine Zukunft? Ich glaube, mein Pferd schielt. Redest Du etwa von unserer Zukunft? Daran denkst Du doch, oder?“
„Natürlich, wenn ich von Deiner Zukunft spreche, dann beziehe ich auch mich mit ein. Ist das so falsch?“
„Nein, natürlich nicht. Also, jetzt erzähl`schon. Was hast Du Dir ausgedacht?“
„Aber Du bist mir wirklich nicht böse deshalb?“
„Warum sollte ich denn sauer sein? Ich habe doch überhaupt keinen Grund dazu. Allerdings, wenn Du noch lange so um den heißen Brei herumlaberst, dann könnte mir der Kamm anschwillen. Ich finde es ätzend, wie Du mich jetzt hinhältst. Talk endlich. Ich kann es mir bei dem Verkehr hier nicht erlauben, die Fassung zu verlieren.“
„Also gut, aber verstehe mich bitte nicht falsch.“
„Bitte, komm auf den Punkt.“
„Ja, ich bin doch dabei. Jetzt bring mich bitte nicht durcheinander. Ich muß meine Gedanken ordnen. So einfach ist das nicht.“
„Klar doch, logo, bei Dir wirklich nicht.“
„Bitte, Patrik, laß’ die Späße. Ich meine es ernst. Also, nun beginne ich noch einmal von vor. Aber laß’ mich bitte aussprechen. Versprichst Du mir das?“
„Ja, versprochen. Fang’ an!“
„Also, neulich habe ich mir mal überlegt, daß Du bei Stau-Events auch einmal ein festes Engagement annehmen könntest. Du müßtest Dir praktisch nur etwas aufbauen, auf das Du immer zurückgreifen könntest. Das ist doch einfach zu begreifen.“
„Weiter!“
„Ich habe mir zum Beispiel ausgemalt, daß Du selbst als Producer bei Staus auftreten könntest. Bei Deinem Wissen über jede Art von Oldtimern könntest Du eine feste Schau aufziehen, die ständig wiederholbar ist. Und darüber hinaus könntest Du flexibel agieren. Ich stelle mir vor, daß Du eine bestimmte Menge an Oldtimern auftreibst und diese in eine Präsentation einbaust. Also, habe ich mich bisher verständlich ausgedrückt?“
„Nein, hast Du nicht. Worauf willst Du hinaus. Was soll ich tun?“
„Ich habe die Idee, daß Du Dein Talent als toller Organisator für Dich selbst nutzbar machen kannst; zumindest stärker als bisher. Du könntest Deine eigene Show managen, und ich würde Dir dabei zur Seite stehen.“
„Wie das?“
„Sei doch nicht so ungeduldig, Patrik, ich komme schon auf den Punkt. Der Kern meiner Überlegung besteht darin, daß Du verschiedene echte Highlights besorgst, vielleicht fünf bis zehn ganz tolle Maschinen, und die stellst Du ständig als Zugpferde aus. Daneben bietest Du Verkäufern die Möglichkeit, ihre Teile anbieten zu können. Über Anzeigen in Zeitungen und über das Internet läßt sich da bestimmt etwas machen. Und das alles präsentierst Du in Deiner eigenen Schau. Und darüber hinaus natürlich noch mehr. Ich habe mir das alles sehr genau überlegt, also einigermaßen zumindest.“
„Und wer bezahlt das? Hast Du Dir das auch durch die Membrane gehen lassen?“
„Bitte, Patrik, das ist doch jetzt nicht so wichtig. Mit solchen Einwänden kannst Du jeden Plan zum Scheitern bringen. Hör mir doch erst einmal bis zum Ende zu, und dann denken wir darüber nach, wie wir das Ganze verwirklichen können.“
„Also gut, fahr’ fort. Aber mach’ die Sache nicht so pompös!“
„Was heißt pompös. Wenn Du das alles so negatv auffaßt, dann höre ich gleich auf. Du mußt Dich schon entscheiden, was Du willst.“
„Was ich will? Ich will gar nichts. Du willst etwas von mir. Erzähl`endlich weiter. Was ist mit der Show?“
„Mit der Show? Ach ja, aber momentan rede ich mehr von der Schau. Verstehst Du den Unterschied? Erst veranstaltest Du eine Schau, und innerhalb der Präsentation bietest Du den Leuten dann eine Show an. Du mußt das auseinanderhalten. Das ist wichtig.“
„Wie wichtig?“
„Sehr wichtig, meines Erachtens. Im Rahmen der Oldtimer-Schau könntest Du auch Stände etablieren, an denen Biker-Klamotten verkauft werden, von Stiefeln bis zu Kombis und Helmen und allem anderen Drum und Dran. Außerdem könnten Ledersachen aller Art offeriert werden, von Jacken bis hin zu Gürteln, Taschen und auch Geldtaschen. Alles, was es in Leder gibt und nicht zu teuer ist. Das muß für Normalbiker erschwinglich sein, das ist der springende Punkt dabei.“
„Aber sonst bist Du ganz gesund? Esssen und Trinken willst Du vermutlich ebenfalls anbieten?“
„Sicher doch, wir stellen mindestens drei Zelte auf: zwei für den Verkauf und die Präsentation und eines für das Auge, den Magen und das Ohr. Ich meine damit, daß wir Essen und Trinken sowie ein Programm offerieren müssen. Du könntest zum Beispiel eine oder mehrere Kapellen vor Ort jeweils engagieren und an einem Tag, am besten am Samstag, ein Konzert mit allem Pipapo und Tanz bieten.“
„Und Du glaubst, das alles wäre zu organisieren?“
„Ja, ich halte das für möglich. Wir hätten sicherlich Anfangsschwierigkeiten, aber wenn das alles einmal steht, dann ist das wahrscheinlich gut beherrschbar und einigermaßen überschaubar.“
„Und die Geldfrage, die klammerst Du aus?“
„Ja klar, im Moment schon. Ich muß Dir doch erst einmal mein Konzept aufzeigen. Und fertig bin ich noch lange nicht. Ich denke mir, daß auch ich in Deiner Show als Car Dancerin auftreten könnte. Wir könnten verschiedene Tanztruppen einladen, könnten Wettberbe ausschreiben, Reisen anbieten und selbst Aufträge für Versicherungen schreiben und anderes in dem Sinn mehr. Das Ganze müßte natürlich exakt ausgearbeitet werden.“
„Und dann?“
„Und zum Schluß würden wir es einer Bank vortragen und uns den notwendigen Kredit besorgen. Ich bin überzeugt davon, daß das klappen könnte.“
„Und was hätten wir dann erreicht, außer daß wir Schulden haben?“
„Patrik, Du mußt das auf längere Sicht sehen. Im Moment hast Du jeweils Einzeljobs bei den Staus. Das geht natürlich auch sehr gut. Aber auf Dauer ist das aus meiner Sicht ziemlich anstrengend. Du mußt doch auch einmal daran denken, was später mit Deiner Rente sein wird. Wenn Du nichts einzahlst, dann bekommst Du irgendwann auch nichts heraus. Du willst später doch nicht betteln gehen, das kann ich mir nicht vorstellen. Bisher agieren wir zwei zwar jeweils als Einzelfirmen, aber tatsächlich sind wir das doch überhaupt nicht. Das weißt Du selber doch auch. Nur der Name oder der Begriff täuscht darüber hinweg, daß wir eigentlich mehr oder weniger laufend Hilfsarbeiten verrichten. Du mußt Dich ständig auf dieses oder jenes einstellen und Dich eigentlich immer wieder umstellen. Aber auf einen grünen Zweig kannst Du dabei nicht kommen, und mir ergeht es prinzipiell doch ebenso; nur mit sehr viel Glück könnte ich einmal viel verdienen. Das sind im Grund genommen immer nur Aushilfsjobs, auch wenn wir dabei selbständig agieren. Ich muß nur daran denken, daß ich irgendwann einmal zu alt bin, um als Car Dancerin aufzutreten, und was mache ich dann? Was habe ich im Alter? Und eine Familie möchte ich irgendwann auch einmal haben; und Kinder gehören dazu. Wovon aber soll eine Familie leben, wenn es kein geregeltes Einkommen gibt? Diese Fragen muß ich mir doch stellen.“
„Und auf welche Antwort bist Du gestoßen?“
„Ja eben, ich glaube, daß auf Dauer etwas Festeres für uns beide besser wäre. Deshalb sage ich es Dir nun schließlich. Sind Dir denn solche Gedanken noch nie gekommen?“
Sorry, nö, an so etwas habe ich noch nie gedacht. Warum auch?“
„Aber Patrik, man muß doch weiter denken. Wir können nicht auf ewig nur in den Tag hinein leben. So schön das auch ist. Finde ich.“
„Das sind ja ganz neue Töne von Dir.“
„Vielleicht klingt das so, Patrik, aber neu ist das nicht. Ich habe schon oft darüber nachgedacht. Wir könnten unsere Fähigkeiten gemeinsam nutzen, das wäre schön, meine ich. Wir könnten uns unsere eigene Firma aufbauen, und irgendwann würden wir das auch schaffen, wenn wir es beide wollen. Zusammen sind wir stärker, gell!“
„Gell, gell! Aber so einfach, wie Du das hier schilderst, ist das nicht. Dazu bräuchten wir eine Menge Money. Und das haben wir bisher nicht. Ich schlage vor, daß wir darüber noch ein paar Nächte schlafen. Vielleicht komme ich irgendwann darauf zurück. Aber momentan hast Du mich nicht überzeugt. Gell, Mam?“
„Gut Patrik, ich will Dich schließlich auch nicht zu etwas drängen. Das war nur ein Gedanke von mir, nur ein Vorschlag zum Überlegen. Mehr nicht. Warten wir es ab, wie sich der nächste Stau entwickelt. Ich freue mich schon darauf. Falls ich ins Fernsehen komme, werden sich eventuell ganz neue Aspekte ergeben. Hoffentlich! Übrigens: Kannst Du mal irgendwo anhalten, ich müßte einmal ganz dringend.“
„Logo, da hinten kommt bald eine Haltemöglichkeit mit Toilette. Ich habe vorhin ein Schild in der Richtung gesehen. Solange mußt Du es noch anhalten.“
„Ja, es geht schon noch. Ich achte mit darauf, daß wir die Ausfahrt nicht verpassen. Ich glaube, da hinten kommt der Parkplatz schon.“
„Genau, das ist es. Ich fahre gleich ab. Noch eine Minute, dann kannst Du zur Toilette gehen.“
„Zum Glück. Ich lege das Heft wieder auf den Rücksitz, oder nein, Du findest es später hier in der Ablage; falls Du es einmal suchen solltest. Hast Du zugehört?“
„Ja, natürlich.“ Patrik ist auf den Parkplatz gefahren, und Linda stürmt aus dem Hummer und zu der Container-Toilette. Die rechte Tür steht offen, und der Outlaw genießt den frischen Luftzug, denn noch immer ist es sehr warm an dem Abend.
„Entschuldigen Sie, fahren Sie nach München?“
Patrik ist erstaunt, als er plötzlich einen jungen Mann an der Tür sieht und er dessen Frage hört.
„Sicher doch, warum fragst Du?“
„Ich frage, weil wir jemand suchen, der uns mitnimmt. Wir, das bin ich und zwei Freundinnen. Das heißt, zwei junge hübsche Mädchen. Hey, Lisa und Jenny, kommt mal her. Zeigt Euch mal.“
Der Outlaw registriert nun die Anwesenheit von zwei sichtlich schlanken Schönheiten, eine davon schwarzhaarig, die andere blond; Patrik schätzt sie beide altersmäßig auf vielleicht 18 bis 20 Jahre. Der junge Mann ist kaum älter. „Ich muß noch auf meine Freundin warten, Ihr müßt Euch einen Moment gedulden. Wenn sie nichts dagegen hat, dann könnt Ihr mitfahren. Aber steigt nach hinten schon mal ein. Ich glaube, daß sie nichts dagegen hat. Eure Tasche könnt Ihr mit zu Euch nehmen, da ist Platz genug. Habt Ihr übrigens nur eine Tasche? Was? Ja. Auch gut. Geht mich auch nichts an. Macht es Euch bequem!“

Als Linda-Lady befreit zurückkehrt, ist sie nur leicht erstaunt, faßt sich dann aber schnell: „Klar, Ihr könnt mitkommen.“ Und schon startet der Hummer zur Weiterfahrt.
„Wie kommt Ihr denn auf diesen Parkplatz“, ist Lindas Frage an die drei Gäste, die nun erst einmal ihre Geschichte erzählen.

„Das alles klingt ziemlich verwirrend, aber es ist wahr“, berichtet der junge Mann, der sich als Klaus vorgestellt hat. „Ich bin aus Dittigheim, das gehört zu Tauberbischofsheim, und Lisa und Jenny sind aus Lauda, das liegt unmittelbar in der Nähe davon. Man kann auch sagen, daß wir aus der Nähe von Würzburg stammen. Das ist eher bekannt. Ihr wißt, wo das ist.“
„Shurly, das ist autobahnmäßig doch in Bayern, in Richtung Hessen.
„Ihr seid Bayern?“
„Nein, nicht direkt Bayern. Wir sind Franken. Das gehört zwar teilweise zu Bayern, aber der Tauberkreis zählt zu Baden-Württemberg. Wir leben gewissermaßen an der Grenze zu Bayern.“
„Ja, aber Schwaben seid Ihr nicht. Gell.“
„Nein, wir sind echte Franken. Wir waren mit einem Bekannten unterwegs, und der wollte uns heute eigentlich bis nach München bringen, so hatten wir das zu Hause abgemacht, aber durch einen riesigen Stau, der durch einen furchtbaren Unfall auf der Autobahn zustande kam, sind wir in starke Zeitnot gekommen. Unser Bekannter mußte uns hier schon absetzen, weil er zu einem bestimmten Termin in Augsburg sein mußte. Die Verspätung war einfach zu groß. Deshalb sind wir auf diesem Parkplatz gelandet.“
„Und was wollt Ihr in München? Wollt Ihr dort auf den Putz schlagen?“ Patrik fragt ziemlich neugierig und gleichermaßen forsch.
„Nein, wollen wir nicht“, ist die Antwort von Klaus. „Ich habe mir über das Internet einen gebrauchten Oldtimer in München gekauft und will den Wagen jetzt abholen,  und Lisa und Jenny haben dort kurzfristig beruflich zu tun. Morgen abend werden wir gemeinsam mit meinem Wagen wieder zurückfahren.“
„Aha, ich dachte, Ihr seid Studenten“, lenkt der Outlaw ein.
„Sehen wir so aus?“, ist die Rückfrage, und das Gespräch plätschert in der Gangart dahin. Auch Linda und die beiden anderen Mädchen beteiligen sich daran. Deutlich wird dabei, daß die fünf jungen Leute im Hummer viel Gemeinsames und noch mehr über dies und jenes zu lachen haben.

Helen und Pete sind währenddessen bereits in München angekommen und haben gemeinsam ein Hotel in der Innenstadt nahe dem Bahnhof aufgesucht und auch ein Zimmer für Pete bekommen. Helen selbst hat sogleich aus dem Hotelfoyer ihre Freundin Erika angerufen und sie von ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt. Das alles klappte wie am Schnürchen.
Erika ihrerseits war überrascht am Telefon. Denn sie hatte erwartet, daß Helen gleich zu ihr kommen würde. Die Geschichte mit dem Mann, den Helen im Zug kennengelernt hatte und von dem sie kurz berichtete, schien spannend zu sein. Entsprechend verbarg sie im Gespräch mit Helen am Telefon, daß sie schon ein wenig enttäuscht war von der Gesamtkonstellation. Denn sie hatte sich ganz auf Besuch eingestellt und ihre schöne Wohnung noch wohnlicher und heimeliger gestaltet.

Patrik, Linda und ihre Mitfahrer kurvten in diesem Augenblick, es war gegen 21,30 Uhr, quasi in München ein. Das heißt, sie befanden sich kurz vor der Einfahrt in den eigentlichen Stadtkern. Der Outlaw hatte beschlossen, noch zu tanken.“ Ein wenig Essen würde jetzt auch nicht schaden.“ Eine große Tankstelle mit Raststätte schien genau der richtige Ort zu sein, um wieder Energie aufzuladen. Entsprechend fuhr Patrik von der Autobahn ab.
Das Tempo des Hummers war gemächlich, als Linda-Lady in einiger Entfernung ein roter Auflieger ins Auge fiel. „Das muß Jesus sein“, ging es ihr durch den Kopf, und sie machte Patrik in derselben Sekunde darauf aufmerksam: „Schau, dort hinten steht Jesus mit seinem Truck. Da ist er doch, oder?“

„Moment, ihr könnt uns hier schon rauslassen.“ Die drei Mitfahrer wollen an dieser Stelle aussteigen, weil sie von dort aus vemutlich schnell weiteren Anschluß in die Münchener Innenstadt hinein haben werden. Mit Dank und allen guten Wünschen verabschieden sich Klaus, der die große Tasche des Trios trägt, Lisa und Jenny, und Patrik fährt nach dem kurzen Stop noch die letzten Meter auf den Truck zu: „Really, strong, Du hast recht, Linda, das ist der Sattelzug von Jesus. Na siehst Du, er lebt noch.“
Patrik hätte den letzten Satz lieber nicht gesagt gehabt: Denn Lindas Augen funkeln wild, als sie ihren Outlaw geradezu anfährt: „Mußt Du denn diesen Blödsinn jetzt gerade sagen? Ja, ob Du es glaubst oder nicht. Ich bin erleichtert, daß ihm nichts passiert ist. Du hast es ebenso wenig wie ich gewußt, wer alle in den Unfall verwickelt gewesen ist. Daß Du Dich nun aber noch über meine Sorgen lustig machen willst, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Das gefällt mir gar nicht. Du bist wie ein Elefant im Porzellanladen.“

Erika hatte in ihrem Vier-Zimmer-Appartement in einem Hochhaus im Südosten von München alles bestens vorbereitet: Sie hatte groß eingekauft, einen Marmorkuchen gebacken und freute sich darauf, zusammen mit Helen gemeinsam später Pizza zuzubereiten und zu essen.
Frische Blumen, wunderschönes Geschirr, dazu passende Eßbestecke, Gläser, Servietten und ein silberner Kerzenständer zierten eine kunstvoll gestickte Decke auf einem gläsernen Tisch, der an drei Seiten von einer braunen Leder-Möbel-Garnitur eingerahmt wurde.
Selbstverständllich hatte sich Erika auch darauf eingestellt, daß Helen bei ihr übernachten würde. In einem der Zimmer hatte sie eine größere Liege zum Schlafen vorbereitet, und das Bettzeug war natürlich frisch und noch nach einem Weichspüler duftend. „Das ist schon eine“, dachte Erika an Helen, war aber gleichermaßen gespannt darauf, was dieser angefangene Abend noch bringen würde.
Erika hatte mit Helen am Telefon verabredet und ihr zugesagt, daß sie sich auf den Weg machen und sie im Hotel aufsuchen würde. In ihre Wohnung zurückkehren, das könnten sie ja schließlich immer noch. „Wie mag der Mann wohl aussehen?“ Mit dieser Frage im Sinn suchte Erika ihr Badezimmer auf, um sich vor ihrer Abfahrt zu Helen frisch zu machen.

Helen und Pete warten im Restaurant des Hotels auf Erika, und Pete ist seinerseits natürlich gespannt darauf, wie Erika, von der er nun schon einiges gehört hat, aussehen wird. Allerdings: seine Augen ruhen unverwandt auf Helen; sie hat es ihm angetan.
Der Kameramann, der am nächsten Morgen einen Termin beim ADACT wahrnehmen will, hat Helen fest in der Linse. Das Bild, das sich ihm bietet, es gefällt ihm mehr und mehr. Pete spürt, daß er drauf und dran ist, sich in sie zu verlieben, oder hat es bereits endgültig gefunkt, und es ist ihm noch nicht bewußt geworden? Er blickt ihr tief in die Augen, als er ihr mit einem Bier zuprostet und sie an ihrem vor ihr auf dem Tisch stehenden Glas Sprudel herumfingert und mit einem Nicken andeutet, daß .auch sie ihm Gesundheit wünscht. Ihr „Prost“ als Erwiderung klingt sehr freundlich.
Die Reporterin hat einen kleineren Koffer dabei und diesen neben ihrem Stuhl abgestellt. Ihre Handtasche, in der sie all das aufbewahrt, was Frauen allgemein bei Reisen mit sich führen, liegt rechts von ihr am Tischende. Die 26jährige hat sich noch nicht entschlossen, auf ein Angebot von Pete einzugehen. Denn jener hat ihr vorgeschlagen, im selben Hotel doch auch ein Zimmer zu nehmen. Zusammen mit der bald kommenden Erika könnten alle dann einen Bummel durch München machen und das Nachtleben studieren. „Selbstverständlich verstehe ich es auch, wenn Du bei Deiner Freundin wie verabredet schläfst“, hatte er ihr versichert.
Helen fühlte sich im Restaurant des Hotels zu Pete hingezogen, aber es war ihr unmöglich, sich gleich zu entscheiden. Denn immerhin hatte sie sich mit Erika bei ihr verabredet, und daß Erika nun ins Hotel kommen sollte, das war schließlich schon fast eine Zumutung, wie Helen sich das im Stillen eingestand.
Sie hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen, ob es richtig von ihr gewesen war, zuerst mit Pete mitzugehen. „Was wird Erika wohl denken?“ Diese Fragestellung ließ Helen nicht los, und sie war überaus nervös, als sie sich mit Pete ganz allgemein über die Einrichtung des Restaurants unterhielt und feststellte, daß es wohl ein „doch ziemlich gutes Hotel“ zu sein schien; gemessen an der Einrichtung und den anderen Gästen darin.
Die 26jährige hatte im etwas angespannten Gespräch mit Pete stets auch die Tür mit im Blick, denn sie wollte Erikas Ankunft im Haus auf keinen Fall verpassen. Es wäre ihr mehr als peinlich gewesen, wenn ihre Freundin sie auch dort noch suchen müßte. Und Pete verstand ihre Unruhe. „Sie wird schon gleich kommen. Verlaß Dich drauf, sie nimmt es Dir nicht übel, so wie Du sie mir bisher geschilderst hast. Immerhin ist sie schon einige Überraschungen von Dir gewohnt, oder?“.
Im selben Moment ging im Nobelrestaurant die Tür auf, und Erika erschien. Sie hatte ihren Wagen direkt vor dem Haus abgestellt und keine fünfundzwanzig Minuten vom Anruf bis zu ihrer Ankunft benötigt.
Helen sprang auf und lief Erika entgegen: „Schön, daß Du gekommen bist. Ich freue mich ja so.“ Bei diesen Worten von Helen umarmten sich die Freundinnen und küßten sich gegenseitig auf die Wangen, und Erika, die etwas größer als Helen war, fuhr ihr über das Haar: „Ist doch nicht schlimm. Ich war nur im ersten Moment ziemlich verdutzt, als Du mir mitgeteilt hast, daß Du einen Mann getroffen hast, der Dich so beeindruckt hat, daß Du ihn gleich ins Hotel begleitet hast. Wo ist er denn, der Gute?“

So schnell, wie sich Linda erregt hatte, so schnell klang ihr Unmut wieder ab, als Patrik sich entschuldigte: „Schon gut, schon gut. War ja nicht so gemeint. Beruhige Dich. Ich bin ganz Deiner Meinung.“
Jedoch: Linda war nicht ganz zufriedengestellt: „Warum überlegst Du Dir nicht vorher, was Du meinst? So etwas Dummes sagt man doch nicht einfach so. Jesus ist schließlich nicht irgendwer. Manchmal verstehe ich Dich nicht.“
Patrik hat den Hummer zwischenzeitlich hinter dem Sattelzug von Jesus gestoppt und blickt zu Linda hinüber: „Natürlich. Du hast wie immer recht. Aber leg’ doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage, mein Baby.“ Und während der Outlaw sich zu Linda hinüberbeugt, um sie gewissermaßen zur Versöhnung zu küssen, wehrt sie ab: „Nein, jetzt möchte ich nicht küssen. Du nimmst mich nicht ernst. Laß uns nachsehen, wo Jesus ist.“
Schon stieg sie aus, und Patrik folgte ihr. Sie gingen zwei bis drei Schritte nebeneinander her, als er sie plötzlich umfaßte, umarmte und küßte. Diesmal wehrte sie sich nicht dagegen, sondern erwiderte seine Gefühle und schlang ihre Arme um seinen Hals. Alle fremden Menschen, die es auf dem Parkplatz wollten, konnten erkennen, daß sich ein Liebespaar wortlos viel zu sagen hatte. Die Frage, wo Jesus sich aufhielt, war damit jedoch nicht beantwortet. Und Patrik und Linda-Lady beschlossen nach kurzer Suche, indem sie um den Sattelschlepper herumgingen und auch in die offenbar leere Fahrerkabine schauten, im Lokal nach dem Trucker zu fahnden.
Es war nicht weit bis zum Schnell-Restaurant neben der Tankstelle, und sie vermuteten Jesus darin. Denn in das etwas entfernt liegende bessere Restaurant würde Jesus sich nach ihrer Ansicht kaum verlaufen. Sie kannten den Trucker als einfachen Mann, der zwar nicht auf jeden Pfennig schaute, der aber auch nicht mit dem Geld um sich warf. Sicherlich, auch einen Besuch im besseren Restaurant würde er sich leisten können, aber seine Welt war das nicht. „Siehst Du ihn?“ Lindas Frage blieb unbeantwortet, nachdem Patrik kurz durch die Fensterscheibe geblickt und sich dann aufgemacht hatte, ins Innere des Hauses zu schauen. „Warte hier, ich bin gleich zurück“, mit diesen Worten ließ er Linda vor der Tür stehen., hinter der er verschwand.
Die 22jährige mußte nicht lange warten, dann wurde die Restauranttür leicht geöffnet, und Patrik blickte verschmitzt hervor: „Komm, er ist hier. Wir haben richtig getippt.“

Die Begrüßung von Linda und Jesus war herzlich, als ob sie sich wochenlang nicht gesehen hätten. Denn die 22jährige freute sich immer noch stark darüber, daß der Trucker, der wie eh und je seinen Stetson auf dem Kopf trug, gesund und nicht in den schrecklichen Unfall verwickelt gewesen war, den auch er auf der Autobahn im Stau miterlebt hatte.
Jesus sprach darüber, nachdem sich alle drei an einen Tisch gesetzt hatten, und im Verlauf seines Berichtes wurde Linda dann wieder ganz ruhig. „Ich freue mich, daß Dir nichts passiert ist. Ich hatte wirklich große Angst um Dich. Denn theoretisch hättest Du schon ziemlich weit sein können, als der Unfall gemeldet wurde.“
Jesus schilderte Patrik und Linda, daß er „etwa zehn Minuten nach dem Drackensteiner Hang“ in den Stau geraten war. Und wie Patrik und Linda hatte er dann warten und warten müssen, während die Rettungshubschrauber auch über ihn hinweg in Richtung Unfallstelle gedonnert waren. „Für mich war es nur schlimm, daß mir die Zeit weggelaufen ist. Meine Weiter-Fahrt nach Wien kann ich mir abschminken. Zum Glück konnte ich mit meiner Spedition in München übers Handy reden und den Auftrag an einen Kollegen weitergeben. Der ist übrigens jetzt schon einige Zeit unterwegs. Ich werde heute hier auf dem Parkplatz schlafen und morgen früh in München abladen. Zum Glück habe ich auch gleich eine Rückfuhre nach Köln arrangieren können, und die hole ich mir ebenfalls morgen früh ab.“

Der Gute war aufgestanden, und nun begrüßten sich auch Erika und Pete; noch ziemlich steif und förmlich, aber das Eis war bereits geschmolzen, als Erika ihn mit Du anredete: „Du hast meine Freundin tatsächlich dazu gebracht, mir untreu zu werden, und das will schon etwas heißen. Ich schlage vor, wir duzen uns. Ich höre auf den schönen Namen Erika. Aber das weißt Du vermutlich schon. Kommt, setzen wir uns.“ Mit diesen Worten hatte Erika die Regie übernommen, und Pete schmunzelte nach Nennung seines Namens, als er sie fragte, was sie trinken wolle und dann beim Kellner die entsprechende Bestellung aufgab.
Aus Erika sprudelten die Sätze geradezu heraus, während sie Pete musterte und bei sich dachte, daß Helen „schon einen guten Geschmack hat“. Sie hatte sich Pete zwar so nicht vorgestellt, wie sollte sie auch, nachdem sie von seiner Anwesenheit das erste Mal vor rund 30 Minuten gehört hatte, aber sie hatte sich während der Fahrt zum Hotel schon Vorstellungen davon gemacht, wie er wohl aussehen könnte.
Pete war es ähnlich wie Erika ergangen. Auch er war angenehm überrascht von ihr, und sie war ihm auf Anhieb sympathisch. „Dunkelhaarig, schlank, braune, schöne Augen, etwa 175 Zentimeter groß“, so taxierte er Helens Freundin ein. Und auch ihre Stimme gefiel ihm, wie er in Gedanken feststellte. Der Kameramann spürte, daß es heute für ihn ein Glückstag war. „Und der Abend ist noch lang und vielversprechend“, sinnierte er.

Patrik und Linda hatten sich zwischenzeitlich selbst etwas zu essen und zu trinken besorgt, denn in dem Schnellrestaurant war Selbstbedienung. Und während auch Jesus noch noch an einer Brezel kaute und an seiner Kaffeetasse nippte, machte Patrik schon den Vorschlag, doch noch gemeinsam etwas unternehmen: „So jung sehen wir uns nie wieder, Jesus. Du hast Zeit, wir haben Zeit, was meinst Du. Machen wir heute abend noch einen drauf?“
Der Trucker war spontan Feuer und Flamme. Patriks Idee gefiel ihm: „Na klar, wir machen nachher München unsicher. Das ist besprochen. Ich lasse meinen Truck stehen, und ihr müßt mich nachher wieder hierherbringen. Logo. Die Idee ist riesig.“
Patrik, Linda-Lady und Jesus kamen überein, ein Jazz-Lokal alter Art, wie es im letzten Jahrhundert viele davon gegeben hatte, aufsuchen. „Wir fahren einfach in die Innenstadt, und dann fragen wir uns durch“, unter diesem Motto beschloß man, nach dem Essen zu starten.

Erika, Helen und Patrik redeten im Nobelrestaurant über dieses und jenes Thema, und das gesamte, meist belanglose Gespräch plätscherte irgendwie dahin, als Erika plötzlich einen Einfall hatte: „Was haltet Ihr davon. Es gibt drei Möglichkeiten. Entweder .geht Helen nachher mit zu mir, oder ihr kommt beide mit zu mir. Oder Helen nimmt sich hier auch ein Zimmer, und wir fahren irgendwo hin, wo noch was los ist. Ich hätte Lust, in ein Jazz-Lokal zu gehen. Da ist immer Stimmung, und die alte Musik gefällt doch auch Dir, Helen. Was meinst Du, Pete? Und Du, Helen?“

Nachdem der Hummer aufgetankt worden war, hatten sich Patrik, Linda und Jesus auf den Weg in ein Jazz-Lokal gemacht, und man hatte das „Blues Point“ nahe dem Hauptbahnhof in München ausgemacht. In etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten würde man dort sein.

Helen und Pete tauschen gegenseitige Blicke aus, während Erika noch spricht und munter den „bevorstehenden schönen Abend“ ausmalt. Pete will sich mit seiner Meinung nicht aufdrängen: „Ich habe mich gewissermaßen zwischen Euch gezwängt. Deshalb entscheidet Ihr, was wir noch machen. Aber ich könnte es mir gut vorstellen, daß ein Besuch im Jazz-Lokal Spaß machen würde. Du könntest hier ein Zimmer bekommen, Helen. Es sind noch einige frei, habe ich vorhin gehört. Allerdings sollten wir, wenn Du das möchtest, uns bald dazu entschließen, eines zu bestellen. Denn es kommen immer wieder neue Gäste, wie ich den Eindruck habe.“

Patrik, Linda und Jesus sind immer noch auf dem Weg ins „Blues-Point“, während Helen im Hotel bereits auf dem Gang zu ihrem Zimmer ist, das auf demselben Flur liegt wie das Zimmer von Pete. Die Entscheidung, sich in dieser Weise zu entschließen, war gefallen, als Erika erzählt hatte, daß das „Blues-Point“ nicht weit entfernt vom Hotel zu finden sei und viel schöne Musik in gediegener Atmosphäre verspreche.

Patrik hat mit dem Hummer Schwierigkeiten, in München beim „Blues-Point“ einen Parkplatz zu finden. Fast fünf Minuten lang kurvt er nun schon durch die angrenzenden Straßen, ohne daß er eine Möglichkeit gefunden hat, den großen Wagen irgendwo so abzustellen, daß er nicht andere behindern würde. Währenddessen sind Helen, Erika und Pete zu Fuß auf dem Weg ins „Blues-Point“.

„Hey, wartet mal. Ich glaube, das große Monsterauto da drüben kenne ich“, mit diesen Worten bleibt Helen stehen, der das große schwarze Fahrzeug mit der blattgoldverzierten Haube noch gut in Erinnerung ist. Der Hummer steht aufgrund seiner Ausmaße gleich auf zwei hintereinander liegenden Parkplätzen, und ein ähnliches Bild hat Helen noch vom Berliner Stau im Kopf. Dort hatte sie einst Linda und Patrik getroffen.

Erika und Pete bleiben stehen und schauen wie Helen zum Hummer hinüber, aus dem gerade drei Personen aussteigen. „Das sind sie“, jubelt Helen, „ich kenne die Typen. Kommt, wir gehen zu ihnen hinüber.“ Und schon, ohne die Antwort von Erika und Pete abzuwarten, läuft sie über die Straße und auf Patrik, Linda und Jesus zu. Die Freude ist allseits riesig. Die Überraschung ist groß: „So trifft man sich wieder“. Küßchen hier, Küßchen dort, eine Umarmung folgt der anderen, und schon kennen sich alle Anwesenden, zu denen zwischenzeitlich auch Erika und Pete zählen, denn sie sind Helen spontan gefolgt, gegenseitig mit Namen. Die Vorstellung erfolgt während der individuellen Begrüßungen.

Erika hat sich ein wenig zurückgehalten, denn der großgewachsene Mann mit den langen Haaren bis zu den Schultern, den Stetson im Genick und dem Bart im Gesicht hat ihr Interesse geweckt. Unwillkürlich, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen schaute und seinen festen Handdruck spürte, hatte sie fast weiche Knie bekommen: „Was ist mit mir?“, ging es ihr durch den Kopf, und sie hatte den Eindruck, als ob ihr der Mann, den sie Jesus nannten, schon lange vertraut war.

Jesus selbst, den eigentlich nichts aus der Fassung bringen konnte, schien noch ruhiger als gewöhnlich zu sein. Er schaute mit seinen dunkelbraunen Augen auf Erika, sie blickte zu ihm auf, und der 29jährige Jesus sagte nichts. Wortlos sah er sie an, aber sein Blick sprach Bände: Sie hatte ihn voll und ganz gefangen. Patrik sprach ihn bereits das dritte Mal mit Namen an, ehe Jesus überhaupt reagierte und den Blick von Erika abwandte: „Was ist? Hast Du was gesagt?“

Allen war aufgefallen, daß die erste Begegnung zwischen Erika und Jesus von besonderer Intensität gewesen war. Und während sich Patrik, Linda, Pete und Helen zur Überraschung aller darüber austauschten, daß man ein gemeinsames Ziel im
„Blues-Point“ habe, lagen sich Jesus und Erika gegenseitig in den Augen. Wie im Trance folgten sie den anderen, nachdem Patrik den Wagen abgeschlossen und man sich auf den gemeinsamen restlichen Weg zum Jazz-Lokal gemacht hatte.

Wortlos gingen Jesus und Erika nebeneinander her, und Erika warf hin und wieder einen Blick zu Jesus hinüber: „Was soll ich nur sagen?“. Erika hatte es in ihrem bisherigen 27jährigen Leben noch nie erlebt, daß ihr die Worte fehlten. Und gleichzeitig hatte sie ein Gefühl, als würde ihr Herz doppelt so schnell schlagen wie sonst. Sie fühlte ihr Blut nicht nur am Hals pulsieren, und es war ihr unverhältnismäßig warm geworden, obwohl sie in der Schwüle des Abends lediglich eine Leinenbluse und einen kurzen Rock trug.
Jesus hatte seinerseits einen Kloß im Hals. Das große Reden war zwar grundsätzlich nicht seine Sache, aber total schweigsam war er auch selten. Und nun ging er schon fast 200 Meter neben der Frau her, ohne daß er auch nur ein einziges Wort gesagt hatte. Immer wieder aber warf er einen Blick zu ihr hinüber und spürte, daß auch sie zu ihm schaute. Ihre Blicke fanden sich, und beide lächelten sich an; einmal, zweimal, mehrmals im Verlauf von vielleicht 300 Metern, in denen beide aber keinen einzigen Ton von sich gaben.

Am Lokal angelangt, hatte Patrik für alle erst einmal das Eintrittsgeld bezahlt, und die Gruppe trat ein. Jesus hielt sich ziemlich am Ende der Schlange, und als Erika an ihm vorbeiging, berührte er sie leicht am Arm, während er sie unverwandt anblickte. Er lächelte, sie lächelte, und selbst dem Türsteher war es klar, daß sich diese beiden mochten.

Es war nach 22.30 Uhr. „O when the saints“ spielte ein Oldtime-Band, und nicht nur der hervorragend blasende Trompeter riß seine Augen weit auf, als die Sechser-Gruppe mit den drei hübschen Mädchen ins Lokal kam, das an der Decke und den Wänden nach alter Art getäfelt war. Gemütlichkeit strahlte das relativ dunkle Holz aus, und die verschiedenen Sitzecken ergänzten diesen Eindruck. Tische und Stühle waren aus einfachem Naturholz, und lediglich die Sitzkissen sowie die zahlreichen Bilder an den Wänden gaben dem Raum äußerlich Farbe. Selbstverständlich boten die schon anwesenden Gäste in ihren zum Teil sehr farbigen Kleidern schöne Akzentuierungen dazu, und die Mitglieder der Kapelle mit ihren Instrumenten auf der kleinen Bühne brachten zudem das musikalische Leben in die Bude.
Das gedämpfte Licht im Saal beließ die gesamte Szenerie im Halbdunkel, wenn man von der Band absah, die zum Teil mit dem gleißenden Licht von Strahlern zu kämpfen hatte und auch ansonsten durch Lampen vom übrigen Interieur leicht abgehoben war. Das Piano funkelte seidenfarben dunkel, eine silberfarbene Trompete warf das auf sie fallende Licht zurück und die goldfarbene Posaune glänzte, als wäre sie gerade frisch geputzt worden.
Eine Baßgeige brachte ästhetische Ruhe in die Szene, in der auch eine Klarinette und ein Banjo zu finden waren. Ein Trommler hantierte an den Becken, als sei er früher Artist in einem asiatischen Zirkus gewesen: Er wirbelte mit den Stöcken so locker und dennoch gekonnt so schnell, daß man den Bewegungen mit den Augen kaum folgen konnte.

Patrik, Linda, Pete und Helen hatten an einem noch freien Achter-Tisch nicht weit von der Bühne Sitzmöbel gefunden, und Jesus und Erika warteten ab, wie sich die anderen plazierten. Es ergab sich so, daß auch die beiden als Pärchen nebeneinander, den anderen gegenüber sitzen konnten. Jesus erwies sich als Gentlemann und rückte Erika einen Stuhl zurecht, was sie mit einem Lächeln und einem leisen Dankeschön quittierte. Sie bemerkte dabei zu ihrem Erstaunen, daß Jesus seinen Stetson abgesetzt hatte und diesen behutsam auf einen noch freien Platz legte.
Erika hatte sich kaum hingesetzt, als sie auch schon wieder aufstand und andeutete, daß sie sich erst einmal frisch zu machen gedenke. Helen tat es ihr nach, und beide verschwanden in Richtung der Toiletten, auf die es einen unübersehbaren gemalten Hinweis an einer der Wände gab, die ansonsten mit einer Vielzahl von Bildern von Jazz-Größen geschmückt war. Jesus registrierte bei einem kurzen streifenden Blick über die verschiedenen Wände, daß diese Fotos wohl alle bei irgendwelchen Konzerten im Lokal entstanden waren. Denn auf fast allen Aufnahmen waren auch Ausschnitte vom „Blues-Point“ zu finden.

Erika und Helen hatten zwischenzeitlich ihre angetrebten Räumlichkeiten gefunden und standen schnatternd vor dem Spiegel, um auch den Haaren den vermeintlich letzten Schliff zu geben. Für Erika, die seit Jahren einen relativ kurzen Schnitt vorzog, war das nicht mehr als ein leichtes über den Kopf streifen, während Helen ihre Lippen mit einem dunkelroten Stift nachzog.
„Ich bin noch ganz hin und weg“, mit diesen Worten deutete Erika ihrer Freundin an, was sie bezüglich Jesus dachte. „Mir geht es auch so. So etwas habe ich bisher noch nie erlebt. Wie findest Du Pete?“. Beiden blieb jedoch keine Zeit, die Thematik auszudiskutieren. Denn auch zwei andere Frauen wollten sich im Spiegel sehen, von dem Erika und Helen entsprechend abrücken mußten. Erika und Helen wußten jedoch beide in gegenseitiger Bestätigung, daß dieser Abend schön für sie werden würde. Sie strahlten um die Wette, als sie frohen Mutes an ihren gemeinsamen Tisch mit gemessenen Trippelschritten zurückstrebten.

Linda, Patrik, Pete und Jesus hatten sich derweil mit der Speisekarte vertraut gemacht, auf der in säuberlicher Handschrift auch eine Anzahl kleinerer Speisen angeboten wurde. Im Einvernehmen mit den inzwischen zurückgekehrten Erika und Helen wurden drei kleinere Essen für Pete, Helen und Erika bestellt, denn sie hatten allesamt noch Hunger. Ansonsten wurden Kaffee und Wasser geordert, und lediglich Patrik ließ sich ein frisches Helles bringen.
Im Gespräch, das bei der Lautstärke der Band nur mühsam zu führen war, aber es funktionierte trotzdem, waren Patrik und Linda darauf gekommen, daß sie bisher noch kein Nachtquartier hatten, und immerhin lief der Uhrzeiger nun schon auf die 11 zu, die in dem Fall als 23 zu.lesen war. Für Patrik schien die Situation nicht problematisch zu sein: „Wir schlafen nachher einfach im Hummer auf dem Parkplatz hinter dem Truck von Jesus. Das ist am einfachsten. Wenn wir morgen etwas müde sein sollten, dann spielt das auch keine große Rolle. Allerdings, wenn ich darüber nachdenke: für Dich, Linda, wäre es vielleicht doch besser, wenn Du noch etwas ausruhen könntest. Denn die Typen beim ADACT könnten sonst auf die Idee kommen, daß Du immer unausgeschlafen bist. Und das wäre verheerend für Dich, oder?“
Die Antwort kam nicht von Linda, die aufmerksam zugehört hatte, sondern von Erika: „Ihr solltet dieses Problem nicht unterschätzen. Die Fernsehfuzzies sind tatsächlich in der Beziehung oft sehr penibel. Wenn Ihr Engagement, das Ihr angedeutet habt, daran scheitern sollte, daß sie unausgeschlafen ist, dann wäre das mehr als bedauerlich. Darf ich Euch einen Vorschlag machen: Wie wäre es, wenn Ihr heute nacht mit zu mir in die Wohnung kommt und bei mir schlaft. Ich habe Platz genug, und zu esen und zu trinken habe ich auch reichlich eingekauft. Da Helen als Besucherin ausfällt, ich erzähle Euch das alles noch, könntet Ihr stattdessen bei mir schlafen. Was haltet Ihr davon?“

Linda-Baby und Patrik schauen sich gegenseitig an und sind noch unentschlossen. Schließlich haben sie Erika gerade erst kennengelernt und wissen nichts von ihr. Kann man sich einer Fremden derart aufdrängen?
Helen mischt sich ein: „Selbstverständlich könnt Ihr mit Erika gehen. Sie ist meine Freundin, und ich kenne Euch auch. Ihr könnt es mir glauben, das wäre kein Problem. Mich würde es besonders freuen, wenn Ihr auf ihr Angebot eingehen würdet, denn dann hätte ich ein besseres Gefühl als momentan. Mein Gewissen sagt mir immer noch, daß ich Erika eigentlich nicht hätte so überraschen dürfen, wie ich es getan habe. Linda und Patrik, Ihr würdet mir damit einen Gefallen tun, und Erika würde sich auch darüber freuen. Soweit kenne ich sie.“
„Wirklich?“ Linda schaut Erika an.
„Tatsächlich“, antwortet diese. „Das wäre easy. Ich würde mich freuen.“
„Na ja, wenn Du uns so nötigst, dann schlagen wir ein. Real strong. Wir kommen. Oder? Linda, was sagst Du?“
„Gut, einverstanden. Ich bin auch dabei. Danke, Erika. Aber was macht Jesus?
„Um mich braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Ihr müßt mich lediglich nachher zur Raststätte zurückfahren, oder ich müßte mir ein Taxi nehmen. Das ginge auch.“
„Willst Du nicht ebenfalls noch bei Erika schlafen? Sie hat genügend Zimmer für Euch alle und eine Nacht. Einer könnte sicherlich auch auf der Couch schlafen.“
Helen ist sich sicher, daß sie Erikas Fragestellung und Angebot an Jesus vorweggenommen hat.
Und während Erika fragend auf Jesus schaut, winkt dieser ab: „Nein, das geht nicht. Ich muß heute nacht noch abladen. Bis 4.30 Uhr muß ich bei der Firma sein, die meine Paletten bekommt. Mir wurde am Handy gesagt, daß die Nachtschicht mich ausnahmsweise schon so früh abladen lassen würde, damit ich im Anschluß schon gegen 6 Uhr in einem anderen Betrieb neue Ladung für Köln aufnehmen kann. Das Ganze läuft präzise wie ein Uhrwerk hintereinander ab. Ich muß jeweils nur pünktlich sein. Aber danke für die freundliche Einladung.“
„Was, Du mußt heute nacht noch arbeiten? Du hast aber gute Nerven, daß Du da so ruhig hier sitzt. Ist das nicht ziemlich anstrengend? Du mußt morgen doch auch noch weit fahren. Bist Du dann nicht zu müde?“ In Erikas Stimme klingt Besorgnis mit, als sie diese Fragen formuliert.
Jesus beruhigt sie: „Du brauchst Dir um mich wirklich keine Sorgen zu machen. Ich komme schon zurecht. Das ist heute nicht die erste Nacht, in der ich nicht schlafe und anderntags wieder schwer ran muß. Zum Glück gewöhnt man sich auch daran, und täglich bin ich schließlich nicht nur in Lokalen.“
Erikas Neugier ist geweckt: „Was machst Du eigentlich? Was ist das für ein Job. Fährst Du einen Lkw?“

Jesus kommt nicht zum Antworten, denn in dem Moment trägt der Kellner die Speisen auf, nachdem er die Getränke bereits abgeliefert hatte. Erika, Pete und Helen essen, und während sie an ihren Würstchen, einem Schnitzel und einer kleinen Pizza kauen, fordert Linda-Lady ihren Patrik zum Tanzen auf: „Komm, da ist doch eine kleine Tanzfläche. Laß`uns eine Runde drehen. Mir ist jetzt danach.“ Und Patrik folgt.

„Ich finde es toll, Erika, daß Du Patrik und Linda bei Dir aufnimmst. Ich glaube, darüber freuen sich auch die beiden.“
Erika nickt nur und lächelt: „Paß auf, Helen, daß Du mit Deinem Arm nicht ins Ketchup kommst“, versucht sie ihre Freundin noch zu warnen, aber es ist bereits zu spät.
 „Hast Du was gesagt?“ Helen ergreift ihre Tasse, hebt sie an, hält inne und wartet darauf, daß Erika ihren Satz noch mal wiederholt.
Und ein Drama bahnt sich an: Denn als Erika ihre Warnung mit dem Ketchup in anderen Worten wiederholt: „Du warst im Ketchup mit Deinem Arm“, dämmert es Helen, was Erika meint, aber sie kann es noch nicht glauben. Und langsam hebt sie den Arm an, allerdings immer noch mit der Tasse Kaffee in der Hand. Sie schaut nach unten, und von oben her ergießt sich der Kaffee samt Milch und Zucker über ihren Arm und auf den Rock und ihre Beine.
Helen springt auf, wie von einer Tarantel gestochen: „Scheiße“, entfleucht ihr ein Wort, das sie sonst selten in den Mund nimmt. Und das gut gemeinte „Vorsicht“ von Jesus verhallt ungehört.
Die Situation ist grotesk: Aus dem kleinen Mißgeschick, das Ketchup mit dem Arm gestreift zu haben, hat sich nun ein großes entwickelt. Und unwillkürlich muß Erika laut auflachen. Jesus schließt sich darin an. Nur Helen schaut ganz und gar verduzt und verärgert drein: „Nein, auch das noch. Der ganze Kaffee auf meinem schönen Rock. Daß mir das auch passieren muß. Ich komme gleich wieder.“

Und während Helen eiligen Fußes zu den Toiletten hin entschwindet, kommen Patrik und Linda an den Tisch zurück. Sie hatten beobachtet, daß Helen wie wild aufgesprungen war, aber sie konnten sich aus der Entfernung keinen Reim darauf machen. Als Jesus ihnen nun berichtet, was geschehen ist, müssen auch Linda und Patrik laut auflachen. Beide können sich kaum halten, während Erika aufsteht und zu Helen eilt. „Ich schaue mal nach ihr. Sie braucht jetzt Trost.“

Im Raum, in dem Helen ihre Kleidung samt Ärmel notdürftig mit Wasser säubert, kann sie auf das Verständnis der anderen anwesenden Frauen setzen. Aber als sie ihnen auf deren Fragen hin andeutet, wie das Mißgeschick passiert ist, müssen auch die fremden Frauen kichern, und Helen lacht nun mit. „So etwas ist mir noch nie passiert. So komisch, das Ganze.“
Erika kommt hinzu, und die Situation ist in dem Moment bereits völlig entspannt. Beide Freundinnen lachen zusammen mit den anderen Frauen über das Ereignis. Als sie zurückkehren an den Tisch, hat Helen zwar einen zum Teil nassen Rock und einen feuchten Ärmel, aber der Ärger ist verflogen. Das Mißgeschick ist für noch einige Minuten Gesprächsthema Nummer eins. Jeder hat etwas dazu zu sagen.

Jesus als Realist hat Helen zwischenzeitlich einen neuen Kaffee bestellt, und alle essen weiter. Helen paßt sorgfältig darauf auf, daß sie mit ihrem Arm nicht noch einmal ins Ketchup gerät. Und selbstverständlich muß sie sich an dem Abend noch einige Male sagen lassen, daß man den Teller beim Essen auch anders plazieren kann: „Vorsicht Ketchup“ wird am Tisch vorübergehend zum geflügelten Wort.
Der neue Kaffee ist serviert, und Jesus prostet Helen mit seinem Wasser zu, während Erika sich erneut an Jesus wendet: „Was ich noch wissen wollte. Fährst Du jetzt einen Lkw?“
Jesus deutet seine Antwort mit einem leichten Kopfnicken an, und mit seinen braunen Guckern schaut er tief in ihre ebensfalls braunen Augen, die jedoch noch ein wenig dunkler als seine schimmern:“Gut, ich erzähle Dir ein bißchen von mir“, ringt Jesus sich dann einen Satz ab. Und Erika erfährt einiges über seinen Job.

Patrik und Linda sowie Pete und Helen ist nach dem Essen zum Tanzen zumute, und während sie sich beim Blues langsam auf der Tanzfläche drehen, sind Jesus und Erika tief ins Gespräch versunken.
Jesus berichtet ihr, daß er selbständiger Unternehmer sei, über einen eigenen Truck verfüge und alles in allem für eine andere Firma beziehungsweise in derem Auftrag fahren würde.
Überwiegend ist Jesus im Messegeschäft und für Stau-Events tätig. Das heißt, er transportiert zum Beispiel Stellwände, Tische und Stühle, mobiles Parkettboden-Material von Messe zu Messe und von Stadt zu Stadt, und für Stau-Events fährt er Böden etwa zum Tanzen, für Trialvorführungen, für Modeschauen; darüber hinaus Tribühnenaufbauten, Sitzgarnituren und vieles andere mehr, was zur Ausrichtung von besonderen Veranstaltungen nötig ist.
Jesus kennt aufgrund seiner Tätigkeit fast ganz Europa, und es gibt kaum ein Event, bei dem er nicht schon einmal tätig geworden ist. Zwischendurch, wie heute, lädt er auch Paletten, die diese oder jene Firma bestellt hat. Am frühen Morgen will er Messegut laden, das zuerst in Köln und später in Düsseldorf sowie darauf in Hannover und in Leipzig benötigt wird.
Sein ursprünglicher Plan, nach Wien zu fahren, war ebenfalls mit Messegut verbunden, das dort eingesetzt werden soll. Aufgrund der unfreiwlligen Stau-Verspätung hat nun ein Kollege den Eil-Auftrag ausgeführt.
Erika ist sehr interessiert an seinen nüchternen Erzählungen, aber eigentlich möchte sie mehr etwas Privates über ihn erfahren: „Hast Du denn auch ein Eigenleben?“, ist ihre Frage, und Jesus grinst dabei: Doch, doch“, gibt er sich anfangs wortkarg, dann aber doch gesprächig.
„Ich lese gern, aber meistens habe ich kaum Zeit dazu. Mein Job frißt mich ziemlich auf.“
„Wo kommst Du her?“, ist eine weitere Frage von ihr. Und Jesus geht auch darauf ein: „Ich bin 29 Jahre alt und nahe der holländischen Grenze geboren, von hier aus betrachtet hinter Münster. Epe heißt der Ort, ein ganz kleiner, aber umso feinerer. Weißt Du, wo das ungefähr ist?“
„Nun, jetzt erahne ich es zumindest. Denn wo Münster ist, das weiß ich schon. Ich bin übrigens aus München.“
Jesus hat es an der Sprachfärbung gehört, daß sie wohl Münchnerin ist und ist entsprechend nicht überrascht von ihrer Mitteilung, aber er möchte auch gern wissen, was sie beruflich macht und fragt entsprechend danach.
„Ich bin für Wedding-Days bei Stau-Events zuständig“, klärt sie ihn auf und erzählt ihm noch einige Einzelheiten, die sie für notwendig hält, damit er ihre Tätigkeit verstehen kann.
Jesus ist beeindruckt: „Hast Du den Job einfach bekommen, oder brauchtest Du dafür eine Vorbildung?“, will er wissen.
„Ich habe Jura studiert, und diese Kenntnisse kommen mir bei meiner Arbeit sehr zugute. Aber Bedingung war das Studium wohl nicht für meinen Job. Allerdings weiß ich das auch gar nicht so genau. Vielleicht doch, ich habe mir darüber noch nie Gedanken gemacht.“
Jesus beeindruckt sie nun seinerseits: „Interessant, das mit Deinem Studium. Ich habe übrigens auch mal Jura und Philosophie studiert, allerdings nichts zu Ende gebracht. Denn ich hatte immer kein Geld, und das Studium war mir auch langweilig geworden. Meine Erwartungen haben Jura und Philosophie auf jeden Fall nicht erfüllt.“
Erika hat Jesus aufmerksam zugehört, und ihr ging es bei seinen Worten durch den Kopf, daß sein Aussehen praktisch den Philosophen spiegeln würde: „Schon ein interessanter und gutaussehender Mann“ war ihr gedankliches Urteil. Und während er noch sprach, stellte sie sich die Frage, ob sein wilder Bart beim Küssen wohl stacheln oder stören würde. Denn Erika hatte noch nie zuvor einen Mann mit einem solchen Bart gekannt oder gar als Freund gehabt.

Patrik, Linda, Pete und Helen kamen von der Tanzfläche zurück: „Ihr scheint Euch ja viel zu sagen zu haben. Tanzt doch auch mal.“ Und Erika und Jesus ließen sich das nicht zweimal sagen. Während sich die anderen setzten, standen sie zum Tanzen auf.

Die Zeit verging für alle wie im Flug, und Stunde um Stunde verrann. Es war schon weit nach Mitternacht, die Uhr lief auf die 2.30 zu, als Erika und Jesus engumschlungen immer noch tanzten, nachdem sie schon zuvor fast keinen Tanz ausgelassen hatten. Selbst Pete und Helen, die ebenfalls die Gunst der Stunde zum engen Tanzen nutzten, fiel das auf, ohne daß sie das störte. Denn beide waren nur noch mit sich selbst beschäftigt. Und besonders die Bluesmusik trug dazu bei, daß die Pärchen einschließlich Patrik und Linda alles um sich herum vergessen zu haben schienen.

Lediglich Jesus warf hin und wieder einen Blick auf seine Uhr: „Spätestens gegen 3 Uhr muß ich mich auf den Weg zu meinem Truck machen“, erläuterte er Erika, die zwischenzeitlich längst wußte, wie ein Bart, wie Jesus ihn trug, beim Küssen zu spüren war. „Der kratzt ja gar nicht“, hatte sie ihm verraten, aber kitzeln würde er manchmal schon.
„Wollen wir noch einen Kaffee trinken?“, fragte Patrik an, der natürlich wußte, daß Jesus heute im Straßenverkehr aufgrund seiner Müdigkeit besonders aufpassen müßte. Selbstverständlich wollte er Jesus zu der Raststätte hinfahren: „Ein Taxi kommt nicht in Frage“, war seine bündige Erklärung dafür. „Ich halte, was ich verspreche.“ Und Erika freute das auch.

Helen und Pete küßten sich derweil lange und für alle sichtbar auf der Tanzfläche, und es war allgemeine Meinung in der Runde, daß es besser sei, auf einen Kaffee zu verzichten und Jesus zu seinem Auflieger zu fahren. Notfalls könne er ja noch im Schnellrestaurant etwas trinken, um seine eventuell einschlafenden Geister wieder zu wecken.

Es war wenige Minuten nach 2.30 Uhr, als sich die drei Pärchen aus dem Lokal verabschiedeten. Erika wollte Pete und Helen bis zum Hotel begleiten, denn dort stand ja ihr Wagen, und Patrik und Linda versprachen, bald bei Erika aufzukreuzen, sobald sie Jesus auf den Parkplatz zu seinem Truck gefahren hätten. „Wir haben Deine Adresse und finden Deine Wohnung schon. Verlaß Dich drauf.“
Wie gerne hätte Erika es erlebt, wenn Jesus gerade heute hätte bleiben können. „Aber Schnaps ist Schnaps und Arbeit ist Arbeit“ war sein Kommentar dazu. Daß sie sich bald wiedertreffen würden, das war natürlich abgemachte Sache. Ihr Abschiedskuß machte seinem Namen alle Ehre.