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Kapitel: |
6. Kapitel
Linda und Patrik haben bei Erika in der Wohnung herrlich geschlafen und hervorragend gespeist. Die Münchnerin ist eine zuvorkommende Gastgeberin in jeder Beziehung, und die beiden Gäste bedanken sich bei ihr besonders freundlich. Daß Patrik „alles really strong“ befindet, das ist aus seinem Mund das höchste Lob, das Erika widerfahren kann. Und sie weiß das zu schätzen, verabschiedet das Paar mit großer Herzlichkeit. Denn es ist wenige Minuten nach 14 Uhr, und der Outlaw und seine Linda-Lady wollen jetzt wunschgemäß noch etwas das Innenstadtleben von München genießen, ehe sie beim ADACT zum Ernst des Lebens, wie Linda das sieht, kommen.
Pete und Helen sind anfangs etwas durch die Straßen gebummelt,
haben hier und dort die Schaufenster begutachtet, und befinden sich nun
in einem Kaufhaus, in dem Helen sich eine Lederjacke anschauen möchte,
nachdem sie Pete von ihren bisherigen erfolglosen Versuchen erzählt
und dieser sie ermuntert hatte, doch einen weiteren Blick auf günstige
Stücke zu werfen: „Schließlich sind wir in München, und
Du hast dann immer eine special Erinnerung an diesen Tag. Laß’ uns
gemeinsam suchen, wir finden schon eine Jacke für Dich.“
Und Helen hat eingewilligt, denn ihr steht jetzt der Sinn zum Einkaufen:
„Zu zweit macht das viel mehr Spaß; let’s try.“
Erika hat es sich nach der Verabschiedung von Linda und Patrik in ihrem Appartement bequem gemacht; sie beschließt, sich noch eine Stunde lang aufs Ohr zu legen, weil sie bemerkt hat, daß sie heute doch sehr ausgeflipped im Spiegel ausschaut. „Die kurze Nacht hat mich schon ganz schön gestresst“, denkt sie und bereitet ihre Couch für ein Mittags-Nickerchen vor. Ein Kissen für ihren Kopf muß sie zum Ausruhen nicht lange suchen, denn die Sessel zieren mehrere davon. Sie muß nur eines der schönen und breiten Stücke davon aussuchen.
Patrik und Linda sind einige Meter vom Haus bereits entfernt und steuern auf den Parkplatz zu, auf dem sie ihren Hummer während der Nacht abgestellt haben. Schon von weitem, es sind vielleicht noch hundert Meter, können sie die blattgoldverzierte Haube des Monsters erkennen, das schräg zu stehen scheint. „Sag mal, Linda-Baby, hat der Kasten nicht irgendwie Schräglage? Ich werde das untrügliche Gefühl nicht los, als ob wir uns auf eine Überraschung gefaßt machen müssen. Komm, laß’ uns faster gehen. Mich macht die Ungewißheit verrückt. So haben wir den Wagen doch nicht geparkt.“
Erika räkelt sich auf der bequemen Couch hin und her und faßt den Entschluß, das Radio, das sie bis zu dem Zeitpunkt hatte laufen lassen, auszuschalten. „Die Musik geht mir beim Schlafen auf den Geist, ich brauche meine Ruhe.“ Mit dieser Einstellung knipst sie die Musik per Fernbedienung aus und legt sich zurück: „Schön, diese Stille, wie ich das genieße. In the next hour lasse ich mich durch nichts mehr stören.“
Helen hat Pete gerade eine schöne Wildlederjacke vorgeführt,
und der Kameramann kann seine Begeisterung nicht verhehlen: „Ein super
Teil. Echt cool. Die würde ich nehmen. Der Preis ist doch völlig
unwichtig.“
Die Reporterin ist ebenfalls angetan von ihrem Outfit, als sie sich
in einem Spiegel betrachtet: „Ob ich ihm wirklich gefalle? Die Jacke ist
attraktiv geschnitten, aber ob sie nicht etwas zu lang ist?“
Sie ist noch unentschlossen: Soll ich die Jacke nehmen, oder probiere
ich noch eine andere an? Was hältst Du von dieser?“, fragt sie Pete,
und dieser ist wiederum begeistert: „Ein echte Alternative. Die hat auch
was für sich. Zieh sie doch mal über.“
Helen probiert dann diese und drei weitere Jacken an. Dann entscheidet
sie sich innerlich für die erste, aber sie hat noch eine Frage: „Was
meinst Du, soll ich das Stück kaufen, oder wollen wir uns noch woanders
umsehen. Schick finde ich die Jacke schon. Gefällt sie Dir auch?“
„Sicher“, antwortet Pete, „darin siehst Du tough aus.“
Die Reporterin ist auch beim Blick auf das Preisschild zufrieden: „Also
gut, die Jacke kaufe ich mir. Aber sie muß Dir auch wirklich zusagen.
Denn darauf lege ich nun schon Wert. Möchtest Du wirklich, daß
ich diese nehme?“
Und Pete bestätigt sie darin: „Natürlich, darin hast Du eine
riesige Figur. Ich will sagen, Du machst darin eine starke Figur. Ach Schrott.
Pardon. Irgendwie klingt bei mir heute alles zweideutig. Wirklich, Du hast
ein echt cooles Outfit“
Linda-Lady und Patrik haben ihr Fahrzeug noch nicht ganz erreicht, doch
in dem Moment wissen es sie genau: „Mit dem Hummer ist etwas passiert.“
Was Linda zuerst als Vermutung ausgesprochen hat, ist leider die Wirklichkeit.
Noch zehn Schritte, und die Bescherung steht vor ihnen. Der stolze Allrader
auf seinen 38er Rädern hat Plattfüße. Und zwar auf allen
vier Reifen.
Die so Geschockten sind fassungslos: “Das darf doch nicht wahr sein“,
entfährt es dem Outlaw, der bereits um das fast 2,50 Meter breite
Fahrzeug herumgegangen ist, um es genauer zu inspizieren. Sein Hauptaugenmerk
gilt der Haube und dem schwarzen Lack. Aber er kann nichts ungewöhnlich
Auffälliges daran entdecken. Alles scheint in Ordnung zu sein. Bis
auf die Kufen. Die scheinen etwas mitbekommen zu haben.
„Kannst Du erkennen, was mit dem Hummer passiert ist?“, ist Linda interessiert,
und Patrik, der zwischenzeitlich die Reifen untersucht hat, kann sie beruhigen:
„Zum Glück scheint das Gummi in Ordnung zu sein. Zerstochen oder sonstwie
beschädigt ist nichts. Zumindest kann ich nichts derartiges sehen.
Mir scheint, daß uns irgendein Witzbold die Luft geklaut hat. Alle
Ventilkappen sind locker; eine liegt vor dem Rad. Real ‘ne Sauerei.“
Linda-Lady ist jetzt erkennbar auch aufgeregt: „Warum haben die uns
die Luft aus den Reifen gelassen? Hast Du eine Erklärung dafür?
Das ist doch nicht nett, gell.“
Patrik muß laut auflachen, als er seine Mam so sprechen hört.
Das „Gell“ entschädigt ihn nun für seinen Schreck. „Du bist schon
eine Marke, Linda, Du bist wirklich Gold wert. Komm’ laß Dich küssen.“
Und während er sie zu umarmen versucht, wehrt sie ihn ab: „Was
hast Du jetzt nur? Daß Du auch nichts ernst nimmst und immer rumalbern
mußt. Jetzt ist wirklich nicht der Moment zum Küssen. Ich bin
wütend auf diese albernen Kerle, die uns die Luft aus den Reifen gelassen
haben. Die hatten doch überhaupt keinen Anlaß dazu.“
Patrik und Linda schauen sich gegenseitig an, sind zwischenzeitlich
über den ersten Schreck hinaus. „Wir müssen nun zu neuer Luft
kommen“, regt Patrik an. Und während er erst einmal ihr gemeinsames
Schlafgepäck im Hummer verstaut, macht Linda-Lady den Vorschlag, zu
Erika zurückzugehen und sie um Rat zu fragen, wo Hilfe zu finden ist.
„Erika kennt sich bestimmt aus“, ist ihre Vermutung, und der Outlaw pflicht
ihr bei. Schon machen sich sich auf den Weg zu Erikas Appartement, „Hoffentlich
ist sich noch zu Hause“, ist Patrik zu hören. „Sonst sind wir ganz
schön aufgeschmissen.“
Erika hält ihre Augen geschlossen, aber sie kann nicht sofort sleepen.
Alles mögliche geht ihr durch den Kopf. Sie läßt das Treffen
mit Jesus in dem Jazz-Lokal Revue passieren, und unwillkürlich streift
sie mit einem ihrer Finger über ihre Lippen. Sie hat dabei ein Gefühl,
als brenne der Abschiedskuß von dem großen Trucker noch immer
auf ihrer Haut: „Ein beeindruckender Mann. Aber daß ich mir seine
Telefonnummer nicht habe geben lassen, das ist schon blöd. Wie gelange
ich bloß an seine Adresse?“
Die Gedanken an Jesus lassen sie nicht mehr los: „Ob er wohl auch so
abgeschlafft ist wie ich? Der Arme, und er muß so weit fahren. Hoffentlich
schläft er am Lenker nicht ein. Bei dem starken Verkehr auf der Autobahn
nach Köln ist leicht ein Unfall geschehen.“
Die Münchnerin will sich das erst gar nicht vorstellen, verdrängt
sofort diese Angst: „Er hat ja viel Erfahrung mit Lkw. Es wird ihm schon
nichts passieren. Es darf ihm nichts passieren. Ich will ihn gesund wiedersehen.“
Sie kann gedanklich nicht abschalten, will aber unbedingt schlafen.“Ich
kann nicht laufend nur an Jesus denken, das macht mich verrückt. Ich
weiß so wenig von ihm, und trotzdem läßt er mich nicht
mehr los. Tanzen kann er eigentlich nicht sehr gut; zumindest hat er sich
keine große Mühe gegeben, hatte ich den Eindruck, aber schön
war es trotzdem. Wie er mich mit seinen treuen Augen angesehen und beim
Tanzen angefaßt hat, das war schon schön. Ob er wohl vielen
Mädchen den Kopf derart verdreht hat?“
Helen hat ihre Lederjacke bezahlt, und strahlend begibt sie sich zusammen mit Pete zum Ausgang des Geschäftes, denn beide sind sich einig darin, daß sie sich jetzt etwas Besonderes verdient haben. Sie wollen ein Eis essen und einen Italiener-Laden suchen gehen. Stolz hält Helen ihre Plastiktüte in der rechten Hand, und Pete benutzt zum Halten seiner alten Klamotten die linke Hand, während sie umschlungen das Haus verlassen.
Patrik und Linda müssen dreimal und intensiv klingeln, ehe Erika
reagiert und die Tür zu ihrem Appartement öffnet: „Ihr seid’s,
ich dachte ihr würdet schon die Innenstadt unsicher machen. Was führt
Euch zu mir zurück?“
Die Berichterstattung fällt kurz aus, denn Erika hat sofort begriffen:
„Natürlich, ich hätte Euch warnen sollen. Tut mir leid. Solche
Art von Scherzen sind in der letzten Zeit hier öfters vorgekommen.
In der Zeitung wurde schon darüber geschrieben. Ihr habt allerdings
noch Glück: Manchen Leuten hat man die Fahrzeuge ziemlich demoliert.
Einige Wagen wurden zerkratzt, anderen hat man die Antennen abgebrochen,
und hin und wieder wurden Pkw auch aufgebrochen. Das ist wirklich schlimm,
obwohl unsere Gegend eigentlich als gut zu bezeichnen ist. Mich wundert
es, was das für Menschen sind, die nur solchen Blödsinn im Kopf
haben und manchmal wirklich großen Schaden anrichten.“
Sie hat während ihrer Erklärungen ein älteres Telefonbuch,
noch in Papier, aus ihrem Schrank geholt und blättert darin: „Einen
Moment, dann kann ich Euch eine Adresse geben, wo ihr anrufen könnt.
Ich könnte mir jedoch vorstellen, daß etwas anderes noch sinnvoller
wäre. Denn Ihr benötigt doch nur Luft, wenn ich Euch richtig
verstehe. Würde es Euch helfen, wenn ich Euch zu einer Tankstelle
fahre und Ihr von dort Luft für Euer Fahrzeug holt?“
Patrik ist ganz Ohr: „Wo ist diese Tankstelle, von der Du sprichst.
Ist die weit entfernt?“
Erika verneint: „Nein, etwa 300 Meter von hier aus, vom Parkplatz aus
vielleicht 200 Meter. So ungefähr jedenfalls. Aber weit ist sie nicht
weg.“
Der Outlaw überlegt kurz und kommt zu einem Entschluß: „Deine
Idee, Erika, ist super. Ich werde mir Luft von der Tankstelle holen. Ich
schlage vor, daß Du Linda, bei Erika bleibst, und ich kümmere
mich um das Fahrzeug. Seid Ihr einverstanden?“
Linda-Lady erahnt es, daß sie Patrik in diesem Moment nicht allzu
viel helfen könnte und stimmt der Anregung zu, während sich Erika
erfreut darüber zeigt, daß sie auf diese Art und Weise noch
für die nächste Zeit eine Gesprächspartnerin gewonnen hat.
Denn es ist ihr bewußt, daß sie nun sowieso nicht mehr einschlafen
könnte. „Wir zwei beide werden uns gemeinsam beschäftigen und
und erst einmal einen Kaffee kochen. Wenn Du, Patrik, nachher zurückkommst,
kannst Du Dich ebenfalls erfrischen und etwas trinken. Wir werden Dir Kaffee
warm halten und auf Dich warten. Viel Glück und Erfolg bei Deiner
Arbeit. Du kennst den Weg? Du mußt bis zum Parkplatz und dann immer
geradeaus. Dann liegt die Tankstelle rechts von der Straße. Du kannst
sie nicht verfehlen. Sie ist nicht zu übersehen. Sag’ dem Tankwart,
daß Du von mir kommst. Er kennt mich, denn ich tanke dort regelmäßig.
Vielleicht hilft er Dir irgendwie, wenn das möglich ist?“
Helen und der Kameramann haben Glück: Wenige Meter von dem Kaufhaus
entfernt entdecken sie ein Lokal, in dem nach außen hin offenbar
Eis verkauft wird. Denn einige ganz junge Mädchen kommen ihnen Eis
schleckend, scherzend und kichernd aus der Richtung entgegen, und eine
lange Schlange vor dem Geschäft zeigt ihnen an, daß es dort
etwas zu kaufen gibt, auf das offenbar.viele an dem sonnigen Tag Appetit
haben.
Die Eissorten in der Kühltruhe sehen höchst appetitlich aus,
und das Paar beschließt, ins Innere des Lokals einzukehren, weil
es das Eis in aller Gemütlichkeit im Sitzen genießen will.
Helen und Pete setzen sich an einen Tisch. Es bleibt ihnen ausreichend
Zeit, sich die anderen Gäste im Lokal anzuschauen, denn es dauert
lange, ehe sie ihre Bestellung aufgeben können. „Ist schon ziemlicher
Betrieb hier“, konstatiert der Kameramann mit relativ eisiger Miene, und
Helen besänftigt und erfreut ihn „Mir ist es heute egal, wie lange
wir auf unser Eis warten müssen. Ich finde es schön, hier mit
Dir zu talken. Wir haben schließlich Zeit bis zum Abwinken.“
Dann äußert sie eine Idee: „Was hältst Du davon, Pete,
wenn ich in meinem Sender anrufen und nachfragen würde, ob ich beim
Bajuwarian-Stau dabeisein könnte? Ich bin jetzt schon darauf gespannt.
Denn falls ich beruflich einen anderen Termin serviert bekommen würde,
dann könnte ich notfalls noch mit einem Kollegen oder einer Kollegin
tauschen oder auch für die Zeit frei nehmen und meinen Termin einem
anderen überlassen.“
Der Kameramann ist hin und weg von diesem Vorschlag: „Das würdest
Du wirklich tun. Das ist ja phantastisch, wenn Du auch dabei bist. Mach’
das. Rufe von mir aus gleich von hier aus an. Dort hinten steht ein Telefon.
Bei der Gelegenheit kannst Du auch Erika ankabeln. Dann hast Du zwei Fliegen
mit einer Klappe geschlagen. Ich warte solange und genieße das Eis,
das bis dahin hoffentlich nicht zerlaufen ist.“
Patrik macht sich auf den Weg zu der beschriebenen Tankstelle und findet
sie auf Anhieb. Allerdings: er hat insgesamt fast zehn Minuten dazu benötigt:
„Ist wohl doch etwas weiter“, mutmaßt er im Hinblick auf Erikas Schilderung.
„Aber egal. Nicht zu weit entfernt. Irgendwie werde ich das packen.“
Der Outlaw stellt sich dem Tankwart vor, grüßt ihn von Erika
und schildert ihm seine Schwierigkeiten. Er hat sich ausgerechnet, daß
er mit einem mobilen Druckluft-Behälter mindestens zehn- bis zwölfmal
wird hin- und herlaufen müssen, um genügend Luft in seine Reifen
zu bekommen. Eine andere Möglichkeit sieht er nicht, und der Tankwart
stimmt ihm darin zu. „Das Auto hierhin abzuschleppen, das hätte keinen
Sinn. Sie müßten jedoch ein Pfand hinterlegen. Denn ohne eine
Sicherheit kann ich den Behälter nicht ausleihen. Ihr Ausweis oder
ihre Bankkarte würden mir genügen.“
Der Outlaw hat seine Bankkarte dabei, und der Tankwart willigt ein,
daß er sich bei den mobilen Druckuft-Behältern bedienen kann.
„Das Laufen bei der Hitze ist keine echte Freude. Aber Sie sind ja fit.
Alles Gute, bis nachher.“
Und Patrik macht sich trotz allem lachend und guten Mutes auf den Weg.
Denn er freut sich insgeheim darüber, daß die unbekannten Scherzbolde
seinen Hummer nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen haben. Denn hätten
sie die Haube beschädigt oder das Fahrzeug sonstwie verunstaltet,
dann hätte er einen Koller bekommen. Dessen ist sich Patrik sicher.
„Offenbar waren das trotz allem Autofreaks, sonst hätten sie die Reifen
einfach zerschnitten, sich aber nicht die Mühe gemacht, die Luft aus
allen vier Reifen abzulassen. Immerhin braucht man einige Zeit und Mühe
dazu“, sagt sich der Kenner.
Die beiden Frauen im Appartement setzen das Kaffeewasser in einem Schnell-Sieder
auf, denn Erika benutzt keine spezielle Maschine für die Kaffeezubereitung,
weil ihr der von Hand aufgebrühte Kaffee heißer vorkommt als
der aus einer Maschine, die Erika früher auch schon ausprobiert und
dann in ihrem Schrank abgestellt hatte.
Die Unterhaltung dreht sich noch um das Pech, das Linda und Patrik
mit ihrem Wagen haben, aber Erika ist ebenso begierig, zu erfahren, was
Linda und Patrik eigentlich beim ADACT erreichen wollen. „Wenn Du darüber
reden kannst, dann würden mich Einzelheiten interessieren. Was macht
Ihr bei Staus? Wir haben heute nacht darüber noch gar nicht gesprochen.
Ich war so mit meinen Geschichten beschäftigt, daß ich Euch
glatt übergangen habe. Kannst Du mir verzeihen, Linda? Ich würde
wirklich gern etwas darüber erfahren. Erzähl’ doch mal.“
Während Helen ihren Vorschlag mit dem Anruf im Sender macht, wird fast überraschend das Eis serviert, und die 26jährige und ihr 30jähriger Partner machen sich nun darüber her: Der Kameramann löffelt mit Heißhunger, und die Reporterin erweist sich erneut als Dame, die mit Eleganz zu essen versteht. In dem Punkt sind sie ein ungleiches Paar, ansonsten aber strahlen sie sich an, als ob die Sonne Eingang ins Lokal gefunden hätte. Als sie das kühles Schoko und Vanille genießen, werden sie von mehreren Augen von anderen Tischen her gemustert.
Linda ist bereitwillig ins Erzählen gekommen, denn der bevorstehende Termin beim ADACT hat sie trotz oder in Verbindung mit der Panne und der fehlenden Luft unter eine für sie ungewöhnliche Spannung gesetzt, die sie nun abbauen kann. Während die beiden Frauen Kaffee trinken und sich an Marmorkuchen gütlich tun, spricht die 22jährige zuerst kurz über sich und dann aber auch über ihren Patrik.
Pete bestellt sich etwas zu trinken, als Helen zum Telefon enteilt ist.
Der Kameramann nimmt an, daß sie einige Zeit für die Gespräche
benötigen wird. Vom Nebentisch her wird er angesprochen, ob er beim
Fensehen beschäftigt sei. Er würde einem Schauspieler ähneln,
der schon in mehreren Rollen in Kriminalfilmen aufgetreten sei.
Pete verneint das. Aber er fühlt sich geschmeichelt, daß
man ihn solchermaßen verwechselt hat. “Vielleicht sehe ich noch besser
aus als ich denke. Das muß ich demnächst mal im Spiegel überprüfen“,
sagt sich der 30jährige selbstironisch. „Vielleicht liegt das aber
nur an meinem neuen Outfit, irgendwie scheine ich seriös zu wirken.“
Der Gedanke, daß Helen auch figürlich und von der Größe
und vom Alter her gut zu ihm paßt, geht ihm dabei durch den Kopf.
„Sie sieht schon echt cool aus“, ist sein Urteil, als er sie aus der Entfernung
betrachtet, während sie am Telefon ausgiebig gestikuliert und ihre
Stimme anscheinend durch ausladende Hand- und Fingerübungen unterstützt.
Linda schildert Erika das Stau-Geschehen aus ihrer Kenntnis: Grundsätzlich
seien die Veranstalter die maßgeblichen Auftraggeber. Überwiegend
handelt es sich um größere Gesellschaften aus der technischen
Branche oder aus dem Unterhaltungssektor, aber auch Banken, Versicherungen
und Medienkonzerne verstecken sich oftmals hinter den Aktienpaketen der
entsprechenden Spezial-Stau-Unternehmen.
Möglich wurden die Stau-Events in größeren Dimensionen
durch die Harmonisierung weltweiter internationaler und europäischer
Gesetze sowie auf der Basis vielfältig verflochtener Richtlinien.
Größtenteils wurden Autobahnen oder Autobahnabschnitte privatisiert
oder teilprivatisiert, und die Veranstalter nutzen entweder ihre eigenen
Areale oder mieten Autobahnteilbereiche speziell für die Staus an.
Nutznießer davon sind Staaten, aber auch private Firmen.
Die Veranstalter arbeiten in der Regel damit, einen Großteil
anfallender Tätigkeiten an andere Unternehmen weiterzugeben. Und so
gibt es jeweils eine Reihe von Subunternehmen in einer langen Kette von
Geschäftsverbindungen. Linda und Patrik nutzen zum Beispiel als Einzelfirmen
die Möglichkeit, daß über das Internet Arbeiten oder Jobs
angeboten werden.
Die Vorabklärung nach allen Seiten hin würde ebenfalls über
das Internet ablaufen. Händler, die in Stau-Nähe ihr Geschäft
betreiben, die etwa Brötchen, Brot, Butter, Wurst und Käse oder
was auch immer Eßbares offerieren würden, zeigen per Internet
in dem betreffenden Stau-Zeitraum an, wieviel Stück, Pfund oder Kilo
sie pro Tag verkaufen können.
Die Veranstalter, die ebenfalls per Internet eine genaue Liste über
diejenigen Leute erstellen, die als Subunternehmer tätig werden wollen,
benachrichtigen ihrerseits die Interessenten von den Angeboten, nachdem
sie vorab abgeklärt haben, wieviel Betriebe bei dem oder jenem Stau
aktiv werden können beziehungsweise wieviel benötigt werden.
Sie verteilen dann auch die Standplätze für die Geschäftsleute
vor Ort und organisieren die verschiedenen Einzel-Events.
Das Ganze scheint auf den ersten Blick hin ziemlich verwirrend zu sein,
ist aber relativ einfach beherrschbar. Denn selbstverständlich liegen
von allen Staus Erfahrungswerte vor, und die Händler- und sonstige
Anbieterschar ist im wesentlichen auch immer dieselbe; selbst die Standplatzfrage
ist meistens schon durch Bestätigung früherer Plätze schnell
erledigt.
Werden konkret etwa bei einem mittelgroßen Stau bis zu fünf
Millionen Brötchen pro Tag benötigt, so ist das den Bäckerein
rund um das Staugebiet bekannt, und was sie mengenmäßig nicht
liefern können, das tragen Großbäckereien aus ganz Deutschland
und bei Bedarf auch aus dem Ausland bei. Das heißt, daß Brötchen
unter Umständen von weit her transportiert werden müssen. Das
Problem der Frische der Ware ist dabei das größte. Aber mit
Schwierigkeiten in dieser Art sind bisher noch alle Veranstalter fertig
geworden.
Ähnliche Probleme hat man bei Blumen, die regelmäßig
zu einem hohen Anteil aus den Niederlanden geliefert werden. In dem Fall
werden Spezialfahrzeuge eingesetzt, die Blumen tonnenweise transportieren
und deren Frische garantieren.
Bei Zeitungen liegen die Schwierigkeiten ebenfalls in den Entfernungen.
Viele der Exemplare werden druckfrisch in den Nächten angefahren und
können morgens von den fliegenden Händlern ausgeliefert beziehungsweise
verkauft werden.
Patrik hat bei Staus zum Beispiel schon Blumen an den Mann oder die
Frau gebracht, aber er hat ebenso Brötchen, Butter, Fleisch und Käse
oder/und Zeitungen verkauft.
Über das Internet bestelle er seine Waren im Regelfall beim Veranstalter,
indem er die entsprechenden Angebots-Nummern anklickt, und der Veranstalter
seinerseits sorgt wiederum für die gesamte Koordination. Die Sicherheit,
daß die angeforderte Ware auch abgenommen wird, haben die Veranstalter
und Händler durch den Nachweis, den alle „free worker“ als Subunternehmer
zu führen haben. Das heißt, sie alle müssen Mitglieder
in der European Marketing Association sei, die Gebühren erhebt und
Versicherungen für alle Geschäfte abschließt.
Wer zum Beispiel als Mitglied der EMA eingetragen ist, muß zudem
für die Möglichkeit, bei einem Stau tanzen zu können, wie
das Linda praktiziert, 50 Euro Startgeld beim Veranstalter bezahlen. Sie
hat dann die Chance, als Gewinnerin mit einem Scheck von bis zu 20.000
Euro nach Hause fahren zu können. Zweite und dritte Plätze werden
ebenfalls noch mit bis zu 10.000 Euro belohnt, und üblichweise wird
auch für den letzten Rang noch ein Betrag bis zu 1.000 Euro ausgeschüttet.
Die Gelder für die Gewinne werden hauptsächlich aus den Eintritts-Einnahmen
entnommen. Pro Person und Stau werden bis zu 20 Euro verlangt, pro Standplatz
sind für das Fahrzeug weitere zehn Euro zu entrichten. Und über
Sponsoren sowie über Gelder aus Radio- und Fernsehberichterstattung
werden weitere Ausgaben bestritten und/oder Gewinne erzielt.
Sponsoren sind zum Beispiel daran interessiert, daß ihre Fahrzeuge
bei Tanzvorführungen, Trialdarbietungen, Ausstellungen, Staurennen
oder sonstigen Einzel-Meetings in Wort, Ton und Bild vorgestellt und direkt
und original präsentiert werden.
Patrik, davon wird Erika ebenfalls von Linda unterrichtet, habe zig
Mal schon mehrere Produkte bei einem einzelnen Stau verkauft. In manchen
Fällen hat er einige der Waren über den Veranstalter bestellt,
andere aber spontan beim Händler im Stau-Bereich vorab über das
Internet geordert oder direkt im Geschäft ohne vorherige Anmeldung
abgeholt. Der spontane Einkauf kann allerdings die Möglichkeit nicht
ausschließen, daß der Interessent ohne alle seine benötigte
Ware bleibt, falls das Unternehmen seine Liefer-Kapazität bereits
mit Blick auf die Veranstalter-Anforderungen und die übliche Privatkundschaft
ausgeschöpft hat.
Es gibt unter Umständen jedoch auch den Vorteil, daß preislich
im Einzelfall noch bessere Konditionen erzielt werden als über den
Veranstalter, der allgemein das Preisnivau schon relativ niedrig aufgrund
seiner hohen Einkaufszahlen hält. Das Ganze ist beim Spontankauf eine
Sache des Verhandlungsgeschicks, der konkreten Angebots-Situation und nicht
zuletzt des Glücks.
Linda berichtet über Patriks konkretes Engagement: Morgens ging
Patrik mit einem handlichen Spezialwagen, der von einem Elektromotor angetrieben
wird und den man leasen kann, mit Brötchen, Brezeln, Brot, Butter,
Milch, Marmelade und Aufstrich sowie mit Zeitungen los. Am Nachmittag hatte
er Getränke verschiedener Art, belegte Brötchen, Würstchen
unterschiedlicher Art, einige kleinere Menues, wie vorgefertigte Essen
aus dem Tiefkühlfach, im Angebot. Am Spätnachmittag war er mit
Kaffee und Kuchen, süßen Stückchen und anderen Köstlichkeiten
unterwegs, und am Abend verkaufte er Blumen, die bei Staus überwiegend
von Männern für ihre Angebetenen erstanden werden. Das ziemlich
genaue Wissen um das jeweilige Waren-Kontingent, das an diesem oder jenem
Tag bei Stau X oder Stau benötigt wird, ist die Stärke des Outlaws,
der von seinen eigenen Erfahrungswerten zehrt und auf ihnen jeweils vertrauend
aufbauen kann.
Flexibel, wie Patrik nun einmal ist, habe er zudem in Einzelfällen
als Berichterstatter für kleinere Zeitungen aus dem Nahbereich und
für einzelne spezielle Stau-Blätter die tägliche „Schau“
übernommen und zigfach auch schon als vorübergehender Bildreporter
bei Staus gearbeitet und gleichermaßen die private Kundschaft mit
Aufnahmen und zum Beispiel Zeitungen als Auftraggeberinnen mit Bild-Material
bedient. Für einen pfiffigen Zeitgenossen ist das im Jahr 2030 keine
Schwierigkeit. Es gibt sowohl hervorragend arbeitende Kameras mit Sofortbildern,
und über elektronische Apparate und Apparaturen werden die Medien
versorgt.
Linda muß Erika zu letzterem Bereich nicht allzu viel erzählen,
denn die Münchnerin weiß aus ihrer Tätigkeit von den Wedding-Days
her genau, wie gefragt schöne und aktuelle Hochzeitsbilder jedes Mal
sind. Patrik hat sie allerdings dabei noch nie gesehen.
Der großen Konkurrenz wegen, das erzählt Linda, habe Patrik
sich überwiegend auf den Verkauf von Kleinangeboten spezialisiert,
vor allem auf Blumen, Zeitungen sowie auf Eß- und Trinkbares. In
dem Bereich rackert zwar immer die größte Händler-Schar,
und es besteht das breiteste Angebot. Aber es liegt durchweg dabei auch
die weitaus größte Nachfrage vor. Ein Ein- oder Auskommen auf
dem Sektor ist zuverlässig gegeben, wenn auch nicht so groß
wie auf besonderen Marktgebieten, die ebenfalls oft stark von Bewerber-Firmen
frequentiert sind. Das trifft etwa auf das Zeitungs- und sonstige Mediengeschäft
zu. Wer gute und feste Aufträge in dem Segment hat, der/die kann gut
leben. Aber auf den Zufall und ohne langjährige Verbindungen zu großen
Häusern hin läßt sich nur schwer überleben.
Alles in allem ist die unglaubliche Vernetzung, die das Internet im
Blick auf Staus liefert, die Vorausssetzung dafür, daß alle
Events mehr oder weniger plangemäß ablaufen. Man kann die Angebote
von überall her und aus aller Welt einholen und abgeben, und normalerweise
brauchen die „free worker“, wie sich auch Linda bezeichnet, die Veranstalter
nicht persönlich aufzusuchen. Heute müßten Linda und Patrik
in München nur deshalb vorstellig werden, weil sie ihre Chance, ins
Haupt-Fernseh-Programm zu kommen, erhöhen wollen. Denn um Beziehungen
entwickeln zu können, muß man noch immer das persönliche
Gespräch suchen und pflegen. Für Linda ist es wichtig, daß
sie ihren Marktwert steigert. Denn auch damit sind Einnahmen verbunden.
Sie trägt zum Beispiel Lederbekleidung hin und wieder für
eine bestimmte Firma, die in der Show namentlich erwähnt wird und
die ihr dafür Geld erstattet. Und so kommt das eine zum anderen. Ob
sie nun eine bestimmte Schuhmarke präsentiert, oder von einem bestimmten
Haarstylisten verschönert worden ist, alles das sind Einnahmequellen
quasi nebenbei. Linda kann in der Beziehung manches berichten; schließlich
verfügt sie auf dem Gebiet über langjährige professionelle
Erfahrungen.
Erika kann nur staunen, was sich neben ihrer Tätigkeit her bei
Staus so alles auf dem Markt tummelt. Darüber hat sie sich bisher
eigentlich noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Sie war selbst meistens
so stark mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt, daß ihr kaum
noch Zeit für ein Privatleben blieb. Helen hatte sie auch zuerst über
das Radio kennengelernt und erst später privat getroffen und als Freundin
schätzengelernt. Der Zufall spielte dabei eine Rolle.
Patrik läuft und läuft. Er, der normaler Weise stolz auf seinen
Hummer mit den großdimensionierten Reifen ist, kann jetzt nur über
den „big foot“ fluchen. Was an Luft in diese Kufen von 38 mal 12,5 R 16,5
hineingeht, das hält kein Mensch aus, wenn er den Druck nach und nach
per Handbehälter aufbauen muß. Leider kann ihm die im Hummer
vorhandene zentrale Luftdruckregelung, die sich bei Fahrten in Sand und
Schlamm positiv über ein CTIS-System bemerkbar macht, nun überhaupt
nicht nutzen, denn sie ist auch noch defekt; seit Monaten schon. Patrik
nimmt sich bei dieser Gelegenheit vor, sobald wie möglich das System
reparieren oder erneuern zu lassen. Der Outlaw beschließt, wenigstens
das Minimum in seine Gummis hineinzupumpen, um dann zur Tankstelle fahren
und weitere Luft aufnehmen zu können.
Der Tankwart hat Mitleid mit ihm und zwischenzeitlich eine Cola zum
Trinken bereitgestellt, denn Patrik schwitzt erbärmlich an dem heißen
Tag. Selbst wenn er sich ganz ausgezogen und nackend hin- und hergelaufen
wäre, er wäre dabei trotz noch vorhandener leichter Luftkühlung
in Schweiß gebadet worden.
Erst als der Outlaw zum achten Gang nach rund einer Stunde Lauftraining
ansetzt, kann ihm der Tankwart mit einer Ersatzlösung behilflich sein.
Denn jener hat ein altes Fahrrad in einem Abstellraum hinter dem eigentlichen
Tankstellen-Gebäude aufgetrieben und aus eigenen Stücken fahrbereit
gemacht. Patrik ist happy, als er von dem erleichterten Air-Gang erfährt.
„Shurly, das Angebot ist real strong. Riesig. Mein Dank wird Dir ewig nachschleichen“,
mit diesen Worten kennzeichnet er gegenüber dem Tankwart seine Gefühle
beim Anblick des Vehikels, das ihn dann noch viermal hin- und herträgt.
Als Helen an den Tisch von Pete zurückkehrt, sind nur wenige Minuten
vergangen. Der Kameramann erkennt an ihrem Mienenspiel sogleich, daß
ihre Nachrichten nicht ausschließlich gut zu sein scheinen. Sie lächelt
zwar und blickt ihn verführerisch nett an, aber ihre Augen haben in
dem Moment nicht mehr den Strahlglanz von zuvor.
„Ich habe meinen Kollegen im Sender erreicht, aber viel Neues habe
ich nicht in Erfahrung bringen können“, mit diesen Worten nimmt sie
Platz gegenüber Pete. „Allerdings, ich habe anschließend auch
kurz mit Erika gesprochen. Wir sollen nachher zu ihr kommen. Sie hat uns
viel zu erzählen, denn im Augenblick sind Linda und Patrik noch bei
ihr. Offenbar ist das eine ganz seltsame Geschichte. Erika hat lediglich
in Andeutungen geredet. Später will sie uns über alles informieren.
Erfreut Dich das Angebot? Wir werden doch hingehen? Ich habe bereits zugesagt,
oder war das falsch?“
Im Appartement von Erika ist der Hauptgesprächsfaden zwischen Linda
und der Münchnerin abgerissen, als Helen angerufen hatte. Die beiden
Frauen haben nun ein anderes Thema, und Erika kommt auf Helen und Pete
sowie letztendlich auf Jesus zu sprechen: „Du kennst ihn doch gut. Kannst
Du mich verstehen, daß ich mich in ihn verguckt habe?
„Liebst Du ihn?“, will Linda wissen.
„Ich weiß nicht, ob das Liebe ist. Aber verknallt habe ich mich
schon in ihn. Ich glaube das jedensfalls. Denn soviel Gedanken wie um oder
über Jesus in der kurzen Zeit habe ich mir bisher noch von keinem
Mann gemacht. Ich habe vorhin nicht einmal einschlafen können, weil
mir sein Gesicht und seine Stimme immer wieder durch den Kopf gegangen
sind. Auch wenn das das Bild bei einem Mann nicht stimmt, aber ich bin
wie verhext von ihm. Ich kann es mir gar nicht erklären, was mit mir
seit gestern abend geschehen ist. Irgendwie fühle ich mich verändert.
Kannst Du mir das nachfühlen, Linda?“
Als Patrik seinen Hummer wieder einigermaßen auf Luftkissen gestellt
hat, fühlt er sich trotz der Schwitzkur oder gerade deshalb wie neugeboren.
Er lehnt sich an die blattgoldverzierte Haube des Vehikels und kommt nicht
umhin, Stolz dabei zu empfinden. Daß die Unbekannten, die ihm die
Luft abgelassen haben, anscheinend ebensolchen Respekt vor dem grandiosen
Oldtimer gehabt haben, das erscheint ihm in diesem Augenblick ganz natürlich
zu sein. „Du bist schon eine besondere Schönheit“, spricht er in Gedanken
mit seinem Fahrzeug, das ihn bisher noch nie verlassen, sondern immer nur
erfreut hat. Der Hummer ist für Patrik wie ein Bruder, und er behandelt
ihn entsprechend.
Anschließend schwingt er sich auf das Fahrrad und fährt
zur Tankstelle zurück.
Dort genehmigt er sich noch zwei Dosen kalten Sprudel, und zum ersten
mal seit rund vier Jahren, seitdem Patrik das Rauchen aufgegeben hat, verspürt
er gleichsam Heißhunger auf einen Glimmstengel. Der Tankwart kann
ihm mit einer Zigarette aushelfen, und der Outlaw genießt rauchend
das aus Frankreich stammende, schwarze Kraut in der filterlosen Zigarette,
als wenn es ihm das Leben retten würde. Dank und Lob sind anschließend
eins, und der Tankwart freut sich darüber: „Ich habe Ihnen gern geholfen.
Gute Fahrt denn auch.“
Patrik seinerseits ist schon in Gedanken bei Linda und Erika: „Jetzt
trinke ich dort noch meinen Kaffee, und dann geht es endlich direkt ab
in die Stadt.“
Pete und Helen sind sich einig darin, daß sie Erika besuchen werden,
und die 26jährige ist optimistisch, daß sie beim nächsten
Bajuwarian-Stau auch dabeisein wird: „Ich habe zwar noch keine Zusage oder
noch keinen Sende-Termin dafür, weil ich in dem Zusammenhang erst
meinen Chef sprechen muß, aber mein Kollege will sich für mich
einsetzen, daß das klappt. Und wenn nicht, dann nehme ich notfalls
frei. Urlaubstage habe ich noch genug. Wollen wir jetzt noch etwas bummeln
gehen?“
Ihr Gegenüber nickt, und nach dem Bezahlen verlassen sie das Lokal,
schauen sich anschließend noch etwas in den von Fußgängern
stark frequentierten Straßen um. Hand in Hand sind die Verliebten
ein Blickfang für mehrere Passanten, von denen einige sich sogar nach
ihnen umdrehen. „Ist das nicht komisch, daß uns die Leute derart
mustern“, fragt die Reporterin. „Haben wir irgendetwas Besonderes an uns,
oder sehen wir nur einfach gut aus?“
Pete schmunzelt: „Wir sehen echt stark aus. Super cool. Das ist es.
Als Paar sind wir noch attraktiver denn als Solisten. Von Dir, Helen, natürlich
abgesehen. Du bist tough auch ohne mich.“
„Du siehst auch blendend aus.“ Das Liebesgeflüster der beiden
will kein Ende nehmen. Es hat sie beide voll erwischt, und das wird ihnen
von Minute zu Minute deutlicher. Zwei Schätze haben sich gefunden.
Linda kann es Erika selbstverständlich nachfühlen, daß sie sich gedanklich von Jesus nicht mehr lösen kann. Denn auch sie mag den Trucker besonders gern: Jesus ist ein wirklich lieber und netter Kerl“, versichert sie Erika und setzt hinzu: „Einen so zuverlässigen und treuen Mann habe ich bisher nur wenige getroffen. Irgendwie kommt er mir immer wie ein Elefant vor, der zwar manchmal auch laut trompetet, der aber grundsätzlich ganz friedlich ist. Und hilfsbereit ist er auch stets. Ich bin total sicher, daß Du ihn bald wiedersehen wirst. Bestimmt, dem fällt schon etwas ein, daß er Dich trifft. Warte es nur ab.“
Jesus befindet sich mit seinem Truck noch immer auf der Autobahn, aber die ersten Schilder künden bereits das naheliegende Köln an. Vielleicht eine halbe oder eine Stunde, dann hat der 29jährige sein Ziel erreicht. Der Trucker beschließt, noch eine kurze Pause einzulegen, denn die Müdigkeit und die Hitze im Wagen haben ihn ziemlich geschlaucht. Überdies hat er sich vorgenommen, per Handy mit Pitters Jörn Kontakt aufzunehmen, denn natürlich interessiert es ihn, wie es diesem ergeht.
Patrik ist zu Linda-Lady und Erika zurückgekehrt und genießt
seinen Kaffee, obwohl sein Durst weitestgehend gestillt ist. „Hast Du eine
geraucht?“, mit dieser Frage war er von Linda empfangen worden, nachdem
sie ihn zur Begrüßung geküßt hatte. Und der Outlaw
berichtet von seinen Erfolgen bei dem Kilometertraining im Zusammenhang
mit der Luft-Lade-Aktion: „Real strong, so ein Marathon. Aber es hat sich
mal wieder bewährt, daß ich meine alten Knochen durch ständige
Bewegungsschulung am Lenkrad beweglich halte.“
„Du und Bewegung“, ist Lindas Stimme zu hören, und Erika muß
über Patriks Selbstironie schmunzeln. Sie bietet ihm an, sich im Badezimmer
frisch zu machen, und der Outlaw eilt stracks unter die Dusche.
Es ist fast 15.30 Uhr, als Linda-Lady und Patrik zum zweiten Anlauf
in die Stadt starten. Daß Erika ihnen geholfen hat, das empfinden
sie als selbstverständlich, und die Münchnerin sieht das ebenso,
verliert auch keine großen Worte darüber. „Das Gespräch
mit Dir, Linda, war sehr interessant und hat mich beruhigt. Dank dafür,
und Euch beiden nun alles Gute. Viel Erfolg. Macht’s gut. So long. Ciao.
Bis zum nächsten Mal. Ihr seid bei mir immer willkommen“, sind ihre
Abschiedsworte, als der Outlaw und Linda-Lady zum Parkplatz zurückgehen.