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Kapitel:

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5. Kapitel
 
 

Der 30jährige Kameramann Pete hat in seinem Leben schon viel erlebt, aber so nervös wie heute ist er selten gewesen. Der geborene Rostocker, der seit langem in Hamburg seine wohnlichen Zelte aufgeschlagen hat, steht in München vor einem Hochhaus modernster Prägung und schaut auf seine Armbanduhr: „“10.34 Uhr“, stellt er fest und zupft anschließend an seinem neuen Schlips, obwohl der korrekt gebunden ist und sein neues Hemd wie auch den neuen Anzug ziert.
Pete war schon zum Einkaufen und hat sich von Kopf bis Fuß in neue Klamotten geworfen, denn bei der Vorstellung im ADACT-Gebäude will er die beste Figur abgeben. „Die Bewerbung muß mir Glück bringen“, denkt er, weil ihm seit seinem Zusammentreffen mit Helen besonders viel daran liegt, möglichst bald mit ihr bei einem Stau zusammenarbeiten oder zusammensein zu können.

Erika, Patrik und Linda schlafen zur selben Stunde noch selig, nachdem die Münchnerin in ihrem Büro angerufen und es davon verständigt hatte, daß sie heute frei nehmen müsse. Erika hatte es beruhigt, daß eine ihrer langjährigen Mitarbeiterinnen, die sie am Telefon gesprochen hatte, ihr mitgeteilt hatte, daß der normale Kunden-Betrieb momentan auch ohne sie zu bewältigen sei. Sie zieht ihr dünnes Laken, das sie der warmen Nächte wegen benutzt, ganz über den Kopf, um möglichst nicht von den Sonnenstrahlen, die durch den halb heruntergezogenen Rolladen kriechen, beim Schlafen gestört zu werden.

„10.38 Uhr“. Pete hat ein mulmiges Gefühl im Magen, als habe er schon stundenlang darauf gewartet, daß es 10.50 Uhr werden würde, denn um die Zeit herum will er das ADACT-Haus, das er wieder und wieder betrachtet, betreten. Morgens beim Frühstück hatte er mit Helen im Hotel noch gescherzt und darauf gewettet, daß ihn jetzt nichts aus der Ruhe bringen könne, aber was sind Gedanken, wenn die Realität sie einholt!
Helen war noch im Hotel geblieben, und beide hatten sich darauf geeinigt, daß sie sich am Nachmittag vor dem Bahnhof treffen wollten. Denn das war ein Ort, den sie jeweils leicht wiederfinden würden und an dem sie sich kaum verpassen könnten. Es ist abgesprochene Sache zwischen ihnen, daß sie ihre München-Visite gemeinsam um drei Tage verlängern wollen. Die entsprechende Buchung hatte keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Der Hotelier staunte lediglich darüber, daß sie ihre Einzelzimmer behalten wollten, obwohl er ein Doppelzimmer frei und es ihnen angeboten hatte. Helen hatte „die zwei Zimmer“ weiterhin gewollt, und Pete hatte nichts dagegen einzuwenden. Warum auch: schließlich war er bei ihr und sie bei ihm.
Pete ist sogar erfreut darüber, daß sich Helen ihm nicht ohne weiteres nur einfach an den Hals geworfe hat. Denn Mädchen in der Art hat er schon mehrere kennengelernt und sie meistens nach wenigen Tagen wieder vergessen. „Helen ist tough, irgendwie anders“, urteilt Pete und genießt das Besondere an ihr.

Helen selbst wühlt in einem Kaufhaus gerade in einem Päckchen von Strumpfhosen. „20 den, Größe 36 bis 40“ liest sie. Sie sucht nach einer passenden Größe 38 und einer dunklen Farbe, aber es scheint nur helle Dessins zu geben. „Wenn ich keine finde, dann macht es bei dem warmen Wetter auch nichts“, denkt sie bei sich und wendet sich von dem Tisch voller Strumpfhosen ab, strebt der Abteilung Jacken und Mäntel zu.
An einem Ständer mit Lederjacken hat die Reporterin ein Modell gefunden, das ziemlich kurz und modern ist. Sie nimmt das Teil samt Bügel vom Haken und hält es ein wenig von sich, um es besser begutachten zu können. „Kann ich Ihnen helfen“, hört sie eine freundliche Verkäuferin neben sich und verneint: „Danke, nein, ich möchte mich nur informieren.“

10.41 Uhr: die Minuten schleichen dahin, und Pete mustert sich noch einmal in einem Schaufenster eines Geschäftes, das neben dem ADACT-Gebäude liegt. Dann fährt er sich mit der Hand über die Haare, zupft an seiner Jacke und schaut zu einem Kleinbus hinüber, der wenige Meter von ihm entfernt gerade gestopt und gehalten hat. Er liest einzeln die großen farbigen Buchstaben an der Seite des ansonsten hellen Fahrzeugs: „I n t e r n a t“. „Internet“, fährt es ihm durch den Kopf, „haben die sich verschrieben?“ Dann sieht er seinen Irrtum ein: „Nein, Internet soll das wohl nicht heißen. Vermutlich wird das International bedeuten. Die haben nur den Punkt vergessen, oder der ist nicht mehr zu sehen.“
Pete schaut noch einmal genau hin, und diesmal kommt ihm die Erleuchtung: „Das darf doch nicht wahr sein. Was allein eine falsche Betonung ausmacht. Ich bin ganz und gar auf Wörter fixiert, deren Abkürzung so beginnen. Aber Internat steht da, und Internat meinen die auch. Ein Internat für Jungen oder Mädchen, oder ein Internat für Jungen und Mädchen, ganz klar. O, was bin ich durcheinander. Ich muß mich zusammenreißen. Ich bin total von der Rolle.“

10.43 Uhr: Der Kleinbus hat sich entfernt, und Pete hat seine gedankliche Balance wiedergefunden: „Ob Helen wohl noch einkaufen geht?“ Am liebsten hätte er sie morgens schon mitgenommen, denn ihre Begleitung hätte ihm sicher gutgetan. Allerdings: ob man das beim ADACT richtig verstehen würde, das ist eine andere Frage. Pete sieht Helen wie im Traum vor sich, und dieses Bild gefällt ihm sehr. Er bemerkt. daß er ruhiger zu werden scheint. Dennoch blickt er noch einmal auf die Uhr.

Es ist wohl die achte oder neunte Jacke, die Helen gemustert hat, und keines der Stücke gefällt ihr richtig. Entweder sind sie zu schwer, zu kurz, zu lang, oder zu teuer. Die 26jährige beschließt, sich nach Hosen umzuschauen. Dabei fällt ihr Blick auf Blusen, und sie schlendert erst einmal darauf zu: „Eine dunkerote Bluse oder eine grünliche könnte ich noch gebrauchen. Mal sehen. Echt schwierig.“
Der Ständer mit Blusen reicht von den Größen 36 bis 54, aber in den Farbgebungen hapert es. Dunkelrote Blusen sind gar nicht darunter, und grünliche Teile sind allenfalls in den Größen 46 bis 50 vorzufinden. Helen macht sich mit einer weißen Bluse in ihrer Größe vertraut, aber diese hat lange Arme, und Helen hat sich mehr auf eine kurzärmelige Bluse eingestellt. Auf die erneute Frage einer Verkäuferin, ob sie ihr behilflich sein könne, anwortet sie wieder mit dem stereotypen Satz, daß sie sich nur zu informieren gedenke.

Punkt 10.45 Uhr macht sich Pete auf den Weg ins Gebäude: „Jetzt habe ich lange genug gewartet. Wenn ich eine Viertelstunde zu früh komme, dann macht das sicherlich auch nichts. Egal.“
Eine große Drehtür hat der Kameramann hinter sich gebracht, und vor sich erblickt er eine Eingangshalle, die es in sich hat. „Fast bahnhofsartig“ fährt es ihm durch den Kopf, während er die marmornen Wände, den Boden aus Marmor und das lederne Sitz-Mobiliar bewundert. Am Ende des großen Foyers, das von einer riesigen Lichtkuppel aus Glas überdacht ist, registriert er eine Art Theke aus dunklem Holz, hinter der scheinbar einsam ein einzelner Mann auszumachen ist.
Pete steuert auf den Menschen, den er für einen Angestellten hält, zu und erkundigt sich nach Dr. Jensch und dessen Büro: „Können Sie mir sagen, wo ich den Manager finden kann?“
„Meinen Sie Dr. Peter Jensch oder Dr. Jürgen Jensch? Es gibt zwei Jensch in unserem Haus.“
„Ich möchte zu dem Manager Dr. Jensch, der das Fernsehen betreut. Ich glaube, er heißt Jürgen mit dem Vornamen.“
„Sie glauben falsch, junger Mann. Erstens sind beide Manager, und zweitens arbeiten beide für das Fernsehen. Haben Sie denn keine Einladung?“
Pete muß die Frage des Mannes, der die 50 Jahre wohl schon überschritten hat, verneinen. „Ich hatte gestern im Zug noch das Anschreiben, aber ich habe es im Hotel verlegt. Sorry. Tut mir leid. Der Mann, den ich suche, muß noch relativ jung sein. Sagt Ihnen das etwas?“
„Ja, das sagt mir viel, aber auch wiederum überhaupt nichts. Wie man’s nimmt. Dr. Peter Jensch ist fast genauso alt wie Dr. Jürgen Jensch, und beide sind noch jung. Haben Sie keinen anderen Anhaltspunkt, mit dem ich etwas anfangen kann? Überlegen Sie mal in Ruhe. Hier drängt uns doch niemand. Lassen Sie sich Zeit.“

Helen hat im Geschäft ebenfalls noch viel Time, wie sie das sieht, und sie ist bei den Hosen, die in allen Formen und Farben nur auf sie gewartet zu haben scheinen. Sie ist happy: „Diese gefällt mir“, überlegt die junge Frau und betrachtet sich das Stück näher. Es ist eine gestreifte Hose in dunkleren Tönen, und auch die Schnittform turnt sie an. Jedoch: Beim Blick auf das kleine Schild im Inneren des Teils erkennt sie, daß das Stück nicht mit der Hand gewaschen werden darf, und das bringt sie total ins Grübeln: „Nein, die Hose bei jeder Kleinigkeit ständig in die Reinigung geben zu müssen, das wird mir zu teuer und zu anstrengend.“ Sie hängt die Gestreifte zurück auf den Ständer. „Heavy.“

Pete überlegt und überlegt, aber ihm kommt nichts in den Sinn; es ist ihm, als sei sein Verstand zugenagelt. „Ich bin Kameramann“, erklärt er dem Angestellten, „ich habe heute um 11 Uhr einen Termin bei Dr. Jensch. Es geht dabei um einen Job. Ich möchte mich beim Bajuwarian-Stau einklicken, also dabeisein. Daß mir das gerade jetzt mit dem fehlenden Anschreiben passiert. Pardon, aber ich bin völlig abgeriegelt, durcheinander, wenn Sie verstehen.“
„Ich sehe das“, verzeiht ihm der Ältere, „ich verstehe Sie auch. Aber Sie brauchen nicht in Panik zu verfallen. Bisher haben wir noch immer für alles eine Lösung gefunden. Bleiben Sie mal ganz ruhig, junger Mann. Oder bleiben Sie cool, wie Ihr das heute ausdrückt. Jetzt werden wir strategisch einen Schritt nach dem anderen vorgehen. Einverstanden?“

Die Reporterin erläutert zum dritten Mal einer weiteren Verkäuferin auf deren Anfrage hin in ihrem Regelsatz, daß sie keine nähere Beratung wünscht und sich lediglich zur Information im Geschäft umschaut: „Wirklich, ich komme allein zurecht.“ Dann betrachtet sie sich eine einfarbige hell-graue Hose, deren Schnitt ziemlich eng und die mit langen Beinen, wie sie sie hat, ausgestattet ist: „Das Teil ist schon super, aber ist es waschbar? Ich muß nachschauen.“
Der Blick auf das kleine Schildchen im Hoseninneren bestätigt Helen in ihrer Erwartung, daß die Hose von Hand waschbar ist. Aber ein anderer Hinweis entmutigt sie: „Die Hose enthält fast nur Kunstfasern“, schließt die 26jährige aus der Material-Beschreibung. „Nein, die ist auch nichts für mich. Leider. Schade. Die hätte mir gefallen.“ Mit ein wenig Wehmut hängt Helen das von ihr herausgenommene Stück zurück, betrachtet es aber noch einmal. Schaut seitlich dann an den Beinlängen hinunter. „Aber nein, es ist auch Größe 20, eigentlich zu groß für mich.“ Dann wendet sie ihr Augenmerk den Pullovern zu, die ebenfalls in der großen Abteilung verkauft werden.
Mit verhältnismäßig wenigen Schritten hat Helen einen Pullover-Tisch- Stand erreicht, der besonders günstige Angebote verheißt. „Reduziert“, liest die Reporterin und beginnt die Suche nach einem attraktiven Stück. Sie wühlt einen schwarzen Mohair-Pullover hervor, aber der sagt ihr nicht zu. „Der faßt sich irgendwie komisch an und juckt auch“, sind ihre ersten Gedanken, und sie fahndet weiter in dem großen Stapel voller Pullover.
Ein hellgraues Teil, das gut zu der Hose passen würde, die Helen zuletzt in der Hand gehabt hatte, hat ihr Interesse geweckt. Aber beim Blick auf den Preis hat sich eine nähere Betrachtung erübrigt: „89 Euro, das ist ja viel zu teuer“, urteilt die 26jährige und ist etwas verärgert darüber, daß das Schild „Reduziert“ offenbar am falschen Tisch hängt. „Wenn man den Preis vorher ungewöhnlich hochjagt, dann bringt auch eine Preisreduzierung nichts“, ist Helens Ansicht und sie beschließt, sich anderen Waren zuzuwenden.
Schräg gegenüber in der Abteilung, etwas weiter entfernt, registriert die Reporterin in dem Moment eine Ansammlung von Menschen, ohne daß sie erkennen kann, was dort geschieht. Sie hört lautere Musik und eine Stimme über ein Mikrofon, ohne deuten zu können, was gesprochen wird. Ihre Neugier führt sie näher zu den Umstehenden, und jetzt sieht sie es: Auf einem Laufsteg bewegen sich Models zu südamerikanischen Rhythmen, und ein Präsentator erläutert mit Witz und Charme die jeweiligen Kreationen.
Helen pirscht sich heran und schlängelt und drängelt sich durch die Masse der Zusehenden nach vorn, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Die zum Teil unfreundlichen und bissigen Kommentare der überwiegend weiblichen Interessierten überhört sie dabei geflissentlich. „Kann die nicht warten?, „muß die sich so vordrängeln?“, „die ist wohl was Besseres?“, „eine Unverschämtheit, diese junge Person!“ - das sind einige der Bemerkungen, die bei Helens Vordringen fallen.
Die 26jährige hat sich neben einem jungen Mann plaziert, der zwischen den Frauen wie ein Turm in der Brandung steht. „Entschuldigung“, fragt sie artig, „können Sie mir sagen, was hier vorgeführt wird?“
„Ja, Lederbekleidung in allen Schattierungen und Arten wird gezeigt. Die Modenschau hat gerade angefangen. Sie haben Glück, falls sie sich dafür interessieren. Das Beste kommt noch.“
„Das Beste, woher wissen Sie das, wenn ich fragen darf?“
„Ich weiß es“, strahlt sie der etwa 20jährige an, „meine Bekannten laufen auch mit, und ich habe die Schau in der Art zum Teil schon ein paar Male gesehen. Sie können mir vertrauen und mich duzen, ich heiße Klaus.“
„Aha, angenehm, ich bin Helen. Und wer von den Mannequins sind Deine Bekannten?“
„Moment noch. Da, dahinten, die Schwarzhaarige, und dahinter die Blonde, das sind Lisa und Jenny. Wir kommen alle Drei aus dem Frankenland, das heißt,  wir sind Franken, wohnen aber in Baden-Württemberg. Genügt Dir diese Auskunft?“
„Sicher, so genau wollte ich es gar nicht wissen, mich interessiert lediglich, was hier gezeigt wird.“
„Tatsächlich? Leder in allen Variationen kannst Du genießen, das sagte ich doch schon. Schau dorthin, das Kostüm, das würde auch Dir gut stehen. Ist allerdings nicht ganz billig.“
„Du hast recht, das würde mir gefallen. Aber bei der Sommerhitze ist das ziemlich warm. Deine Bekannte sieht sehr adrett darin aus. Bist Du so etwas wie ihr Manager?“
„Nein, ich habe damit eigentlich nichts zu tun. Das hat sich wie zufällig ergeben. Ich habe mir heute hier in München ein Auto gekauft und nehme meine Bekannten wieder mit nach Hause. Deshalb bin ich jetzt zur Stelle.“
„Ach so, Du bist quasi ihr Fahrer. Das ist ja nett von dir.“
„Hm, sieht man mir nicht auf den ersten Blick an, oder?“
Helen muß lachen: „Hauptsache, Du fährst sie so sicher nach Hause wie Du sie hierhergebracht hast.“
„Das kannst Du glauben. Aber unsere Herfahrt war nicht ganz so glücklich. Wir sind gestern in einen riesigen Stau auf der Autobahn geraten, und wenn uns nicht ein paar Typen in einem sagenhaften Schlitten mitgenommen hätten, dann würden wir womöglich noch immer auf einem Parkplatz bei Augsburg festsitzen.
„Tatsächlich? Glück braucht der Mensch.
„Ja, das haben wir. Gefallen Dir die Sachen auf dem Steg?“
„Zum Teil, aber ich suche eigentlich mehr Anregungen. Viele der Teile sind doch sehr ausgefallen und nur für ganz bestimmte Typen von Frauen tragbar. Ich glaube, ich habe jetzt genug gesehen. Ich schaue mich noch ein wenig im Geschäft um. Viel Spaß noch, und grüß’ Deine Bekannten unbekannter Weise von mir. Und gute Heimfahrt.“
„Ciao, mach’s gut. Viel Erfolg beim Einkaufen.“

Der ältere Mann hat den Telefonhörer zur Hand genommen und wählt eine Nummer. Sekundenlanges Warten. Dann meldet sich offenbar am anderen Ende eine Stimme. Der Hilfreiche fragt: „Hier ist Toni. Sagen Sie mal, Frau Eppler, hat bei Ihnen heute ein junger Mann einen Termin um 11 Uhr mit Dr. Jensch?“
„Nein, hat er nicht. Dann entschuldigen Sie die Störung. Es ist alles klar. Danke. Wiederhören.“
Der Ältere lächelt Pete an: „Na sehen Sie, das haben wir schon geklärt. Jetzt noch einen Moment, dann wissen wir alles.“
Dasselbe Vorgehen: Anruf bei einer Frau Schrader. Die Antwort. Das befreite Auflachen. Der richtige Dr. Jensch ist ermittelt. Es handelt sich um Dr. Peter Jensch. „Das ist unser Producer“, erläutert der Ältere und teilt Pete mit, daß er in das Zimmer 714 im siebten Stockwerk gehen müsse. „Dort drüben ist der Fahrstuhl und viel Glück. Frau Schrader, seine Assistentin, erwartet Sie bereits.“
Pete bedankt sich mit einem hochroten Kopf mehrmals bei dem älteren Mann, und dieser winkt immer noch lächelnd ab: „Schon gut, schon gut. Das ist auch schon ganz anderen passiert. Machen Sie sich nichts draus. Besser hier durcheinander sein als oben bei Dr. Jensch. Sie müssen das einfach positiv sehen. Glück braucht der Mensch. Nun gehen Sie aber, sonst kommen Sie wirklich noch zu spät.“
Der Gang zum Fahrstuhl, das kurze Warten auf das Gerät, der Druck auf den Knopf bei der Zahl 7, das Hochfahren, das automatische Öffnen der Tür - das alles hat Pete wie im Trance hinter sich gebracht. Jetzt steht er auf einem hell erleuchteten langen Flur, weiß aber nicht, welche Richtung er einschlagen soll. Eine Tür, ein paar Meter von ihm entfernt, geht auf und eine etwa 30jährige Frau tritt heraus, will offenbar Richtung Fahrstuhl, stolziert frisch auf ihn zu.“Suchen Sie jemand?“, fragt die Dame, bei Pete angekommen, freundlich.
Der 26jährige ist leicht verdutzt, weil sie ihn derart spontan angesprochen hat, faßt sich aber schnell: „Ja, ich suche Zimmer 714, Dr. Jensch. Oder Frau Schrader. kennen Sie die zufällig?“
Die junge Unbekannte lächelt verschmitzt: „Zufällig kenne ich Frau Schrader nicht. Aber ich kenne sie gut. Sie sitzt dort hinten in dem Zimmer am Flur-Ende.“ Sprach’s und entschwindet zum Fahrstuhl, die nette Dame.
Pete hat Zimmer 714 vor sich und klopft fast zaghaft an: einmal, zweimal, dreimal. Plötzlich hört er von innen her ein „Herein“, öffnet die Tür und tritt ein. Eine nähere Vorstellung ist nicht nötig, denn Frau Schrader hat dem 30ährigen schon einen Stuhl angeboten: “Seien Sie willkommen. Nehmen Sie Platz, ich weiß wer Sie sind. Sie sind mir telefonisch von unten her angekündigt worden. Dr. Jensch erwartet Sie. Moment, ich sage ihm Bescheid, daß sie eingetroffen sind.“

Die Handschuhabteilung, eine kleine Unterabteilung in dem großen Stockwerk für Damenbekleidung, hat es Helen angetan. Schnurstracks trippelt sie darauf zu und wird sogleich von einer Verkäuferin empfangen: „Womit kann ich Ihnen dienen?“.
Diesmal lehnt die Reporterin nicht ab, sondern bittet die in Grün gekleidete Dame, ihr schwarze Wildlederhandschuhe zu zeigen. „Möglichst nicht zu teuer“, setzt die 26jährige vorsorglich hinzu.

Dr. Jensch empfängt Pete mit großem Hallo: „Sie haben den gleichen Vornamen wie ich, das ist ein gutes Omen. Treten Sie näher und nehmen Sie Platz. Bitte schön. Möchten Sie einen Kaffee trinken? Der Producer, der nach Schätzung des Kameramannes etwa ebenso alt wie er ist, wartet Petes Antwort nicht ab: „Ja, gut so. Frau Schrader, können Sie uns bitte zwei Kaffee bringen. Aber schön stark. Und ansonsten möchte ich für eine Stunde nicht gestört werden. Ja, alles klar. Danke.“

Rund zehn Minuten sind vergangen, seit Helen das erste Paar Handschuhe anprobiert hat. Es folgten insgesamt über zehn weitere Versuche, das richtige Paar herauszufinden, aber es scheint erfolglos zu bleiben. Die 26jährige kann sich nicht entscheiden, ist von der Farbe Schwarz zwischenzeitlich auf Braun und auch auf Grau übergegangen. Aber keines der Paare überzeugt sie ganz. Die Verkäuferin bleibt ruhig und freundlich, ist die Zuvorkommenheit in Person: „Wollen Sie das Paar noch anprobieren? Das ist ein sehr schönes Leder.“
Die Reporterin geht auf den Vorschlag der Verkäuferin ein und probiert auch das weitere Paar Handschuhe an. Aber dieses trifft nicht ganz ihren Geschmack, weil es oberhalb Verzierungen aufweist, die die 26jährige für „zu auffallend“ befindet. Sie bedankt sich höflich bei der guten Verkäuferin und fragt, ob sie ihr den Weg zur Schuhabteilung zeigen kann. Das ist der Fall, und Helen muß per Rolltreppe eine Etage tiefer fahren, um in die große Schuhabteilung zu kommen. Ihr Dankeschön an die Verkäuferin ist wirklich ehrlich gemeint. „So nette Kräfte findet man nicht überall“, lautet ihre gedankliche Beurteilung, und sie sagt das der Verkäuferin auch direkt. Die Freude darüber ist an deren Gesicht abzulesen. Das Lob entschädigt in der Erkenntnis, erfolglos im Verkauf geblieben zu sein.

Pete und der smarte Producer sind schon mitten im Gespräch, trinken zwischendurch Kaffee oder nippen an der Tasse. Der 30jährige ist überrascht davon, in welch einfacher Form der Manager ohne lange Vorrede auf das Thema eingegangen ist. Pete kommt nicht einmal dazu, etwas zu dem modernen Büro oder ansonsonsten etwas Allgemeines zu sagen. Seine Nervösität ist durch diese etwas sehr sachliche Atmosphäre wie weggeblasen.
Der Producer hat Petes Vertrauen in dem Moment gewonnen, als er geradewegs vortrug, daß es ihm bekannt sei, daß er ein „langegedienter, guter Mann“ sei. Den Manager interessieren Einzelheiten, und diese soll Pete nun vortragen: „Was haben Sie zuletzt gemacht? Wo haben Sie in den letzten Jahren gedreht. Was haben Sie für Vorstellungen?“
Der Kameramann hat nun zu der Ruhe zurückgefunden, die ihn meistens auszeichnet. Der Wunsch, auf seinen Werdegang konkret einzugehen, wirkt für den 30jährigen zudem wie eine Beruhigungspille. Denn Pete hat in seinem Berufsleben schon so viel erlebt, daß er überhaupt keine Mühe hat, einige Beispiele davon anzuführen.

Helen ist eine Etage tiefer in der Schuhabteilung angelangt und hat erneut eine Verkäuferin vor sich, die ihr behilflich sein will. Aber diesmal lehnt sie mit dem Hinweis ab, daß sie sich nur „einmal umschauen“ will. Schwarze Halbschuhe mit  mittelhohen Absätzen in der Größe 38 haben es ihr angetan. Sie hebt sie aus dem Regal und betrachtet sie näher. „124 Euro, zu teuer“, befindet sie, legt die Schuhe zurück und greift zu einem anderen Paar in Schwarz.
Sie hat nach Sandalen auch Sandaletten anprobiert, aber kein Paar davon ist für sie passend: Der eine Schuh drückt vorn, der andere hinten, der dritte Schuh in der Mitte, der vierte oben oder wo auch immer, bei dem einen ist der Oberriemen zu lang, bei dem anderen sind die Riemchen zu schmal: „Eigentlich müßte jetzt am Morgen doch ein Schuh passen“, geht es der 26jährigen durch den Kopf, „denn meine Füße sind noch nicht angeschwollen. Wenn ich nun keine finde, dann lasse ich es lieber ganz.“

Der Kameramann berichtet dem Producer zuerst von seinen Erfahrungen im Ausland: „Ich habe zuletzt beim ‘Magic Great Texas Stau’ gedreht. Das ist in den USA momentan der größte Stau-Event. Ich war für 14 Tage für den Brüssel-Radio-TV unterwegs und habe ein 45-Minuten-Video als Feature gemacht. Teile davon sind übrigens damals auch in den Staaten, in Kanada und in Mexico gesendet worden.“
Pete muß sich wundern, daß der Producer ihn einfach erzählen läßt und ihn kaum mit Fragen unterbricht. Es scheint, als sei ihm manches davon noch neu und unbekannt, denn er hört stark konzentriert zu:
Dann berichtet der Kameramann vom Texas-Stau, der regelmäßig einmal pro Jahr bei Dallas stattfindet, auch wüstenähnliche Gegend wird darin einbezogen. Die ganze Welt scheint bei diesem Event auf den Beinen zu sein; vor allem auch aus Kanada, Mexico und mittelamerikanischen Ländern wie Guetemala, Honduras, Nicaragua oder aus Costa Rica und Panama strömen die Menschen herbei, wollen einmal dabeisein in dem Gefühl, die große reiche Welt zu erleben. Der Bajuwarian-Stau, der in Europa das Maß aller Dinge ist, muß im Vergleich dazu als klein eingestuft werden. Abgesehen von den Wedding-Days beim Innsbruck White Christmas, die weltweit ihresgleichen suchen können, ohne daß man dabei Erfolg hätte, gibt es in Europa kein Event, der auch nur entfernt das Ausmaß erreicht wie das beim Magic-Stau in Texas, der generell in Fankreisen nur abgekürzt „MGTS“ heißt.
Der 30jährige kommt gegenüber dem Manager geradezu ins Schwärmen, als er vom Great Texas Stau erzählt und seine Rolle dabei genau beschreibt: Er hatte die freie Auswahl, aus einen riesigen Angebot von Veranstaltungen auszuwählen. Vom Kino bis zum Theater, von Mal-Offerten bis hin zu Dichterlesungen, Kabarett, Zirkus und Musik-Events aller Art wurde kulturell eine Palette präsentiert, die so bunt wie vielfältig war.
Sportlich gab es vom Wrestling über das Boxen, Tennisspielen, Golfspielen und nicht zuletzt Schwimmen alles, was das Herz begehrte. Die Amerikaner hatten nicht nur stau-nahe Flugplätze angelegt, damit Tausende von Menschen möglichst schnell und einfach anreisen konnten, sondern sie hatten auch eigene Stau-Straßen
extra entworfen und gebaut, hatten Schwimbäder errichtet, die Grüns für die Golfplätze künstlich ersprießen lassen und Tennisplätze en masse angelegt.
Das Größte, wie Pete das beurteilt, aber besteht darin, daß für die Stau-Time selbst ein eigener Stau-Mayor eingesetzt wird, der etwa als Bürgermeister anzusehen ist. Samt einer relativ großen Privatverwaltung, privater Stau-Police und einer Stau-Clinic mit Stau-Ärzten und sonstigem Personal wird in Texas der Event gleichsam in einer vorübergehenden Stau-Stadt gefeiert.
Spielerstädte wie Las Vegas oder Reno haben es längst begriffen, daß Stau-Events von der Größe des MGTS ihnen gewaltige Konkurrenz bescheren. Denn die mobilen Angebote sind höchst verlockend und aufgrund ihrer Organisation unter Ausnutzung aller Hilfsmittel und den nahebei bestehenden Attraktionen weitaus billiger zu realisieren als feste Einrichtungen das je könnten. Vor allem das überaus günstige Preis-Leistungs-Angebot macht den Spielerstädten zu schaffen.
Daß sich insbesondere auch die ganz Reichen aus aller Welt bei den Staus wohlfühlen, das ist bemerkenswert. Wenn sie in ihren Privatjets einfliegen, dann warten bereits ganze Herrscharen von dienstbaren Geistern auf sie. Über das Internet werden von jeweiligen verschiedenen Fachbüros alle Formalitäten erledigt, und sämtliche Gäste genießen es, vorübergehend nicht in festen Häusern zu wohnen, sondern mobil zu hausen. Das erinnert vermutlich an das Nomadenleben längst vergangener Zeiten, und wer seinen Wohnwagen oder das Wohnmobil nicht mietet, der least seine Unterkunft vielleicht. Es gibt beim Stau quasi nichts, was es nicht gibt.
Besonders sensationell haben zu Wohnungen umgebaute Doppeldecker-Busse aus Old England eingeschlagen. Wer auf sich hält und das nötige Kleingeld dafür hat, der wohnt in einem der roten Ungetüme aus London, die man zu Hunderten einst günstig eingekauft und über das Meer eingeschifft hat. Einige der Händler und Makler haben sich dabei goldene Nasen verdient, und Handwerker konnten beim Umbau beweisen, daß sie ihr Handwerk verstehen. Die meisten der ehemaligen Busse enthalten von der Wohnstube bis zum Schlafzimmer und sanitären Einrichtungen alles, was ein modernes Appartement ausmacht.
Apropos sanitäre Anlagen: Eines der größten Probleme der Veranstalter bestand darin, die Staus mit genügend Toiletten, Duschen und Bademöglichkeiten auszustatten. Und so entstanden eigene Sanitär-Gesellschaften, die nichts anderes tun, als ständig darauf zu achten, daß es an Toiletten und anderem nicht mangelt.

Helen entschließt sich, noch einmal ein Stock höher zu fahren, um die Oberbekleidungsabteilung näher zu inspizieren: „Ich habe vorhin nicht alles gesehen. Ein schickes Kostüm könnte ich eigentlich auch gebrauchen.“ Mit diesem Gedanken im Kopf nähert sie sich zum Teil vertrautem Boden.
Die Menge der Kostüme auf den Ständern bereitet Helen keine Schwierigkeit. Angst vor dem Unbekannten hat sie keine, und nach und nach wurschtelt sie sich von einer Größe zur anderen durch. Zum Teil ist das Sortiment auch nach Farben aufgehängt, aber die Reporterin überblickt das schnell. Es wundert sie, daß noch keine Verkäuferin aufgetaucht ist, um ihr behilflich zu sein. Helen führt das auf den regen Andrang zurück, der in der Abteilung herrscht. Darüber hinaus hat sie das Empfinden, daß sich einige der Angestellten schon auf den Gang zum Mittagessen eingerichtet haben. Denn an einer an einer der Wände befestigten und weithin sichtbaren großen Uhr liest die 26jährige ab, daß es 11.24 Uhr ist.

Pete hat die Erfahrung gemacht, daß es die Spielerstädte vor allem verärgerte, daß Hunderte oder gar Tausende von Privatsendern aus aller Welt ständig über die jeweiligen Stau-Events berichteten. Tag und Nacht liefen die Programme, und es waren zum Teil auch spezielle Sender dafür entwickelt worden. Eine vergleichbare Entwicklung war in den gedruckten Medien zu finden, denn zum Beispiel beim Magic Great Texas Stau sind Jahr für Jahr rund zwölf Zeitungen zu beobachten, die ausschließlich über das mobile Geschehen berichten.
Tatsächlich sind etwa die vielen Einzelshows so beeindruckend und vielseitig, daß sich allein darüber die Berichterstattung lohnt. Ob Modeschauen, bei der die Modezaren aus aller Welt ihre neuesten Creationen vorführen, oder Haarstylisten
am Werk sind und die jeweilige Haar-Design-Mode des Jahres zeigen, oder ob Autofirmen die Gelegenheit nutzen und die jüngsten Auto- und Mottorradmodelle präsentieren und sich die Wirtschaft in ihrer ganzen Kraft der Öffentlichkeit vorstellt - bei Events in diesen amerikanischen Dimensionen wird alles Hergebrachte gesprengt.
Motorsport, Reitsport und besondere amerikanische Spezialitäten wie Rodeos, Baseball und Football hat es seit langem bei den Staus gegeben, aber daß die Veranstalter nun noch eine spezielle Stau-Renn-Strecke anlegen wollen, bei der auch die Formel1-Boliden glänzen sollen und Welteisterschaftsläufe zudem für Motorräder möglich sind, das wird zusätzliche Zuschauermassen anziehen. Das Privileg, wirklich Milliarden von Menschen in aller Welt begeistern zu können, wird über die Medien möglich. Und das bringt Geld, verheißt Profit und läßt immer neue Ideen sprießen, die sogleich Wirklichkeit werden können.
Allein die riesige Anzahl der neuen Berufe, die die Stau-Events mit sich gebracht haben, ist beachtlich. Zwar sind die Jobs regelmäßig nur von vorübergehender Dauer, aber aufgrund der Vielzahl der Staus fast als fest einzustufen. Wer einmal in dem Stau-Geschehen Fuß gefaßt hat, ist ständig gefragt und als „free worker“ ein Fachman oder eine Fachfrau besonderer Art.
Daß es allein Dutzende von Grußvermittlungsbüros in den USA gibt, das macht deutlich, wie die Stau-Idee eingeschlagen hat. Selbst Hollywood nimmt einige seiner Filme bereits während der Stau-Events auf und benutzt das Geschehen als große lebendige Kulisse, die man in dieser Art sonst nirgendwo findet. Das ist eine Wohnwelt auf Rädern, die mehr oder weniger durchs Land rollen; bis hinauf nach Kanada und hinunter nach Mittel- und Südamerika; und alles in versicherter Form selbstverständlich, denn natürlich haben Versicherungen, Banken, Sparkassen und andere Institute, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, sich längst in das Super-Roller-Leben eingeklickt. Wer einen eigenen Stau-Sonder-Versicherungstarif oder einen speziellen Stau-Sonder-Kredit benötigt, der oder die muß nicht lange danach suchen.

Die Kostümabteilung zieht Helen für etwa zehn Minuten in ihren Bann, aber dann stellt sie fest, daß kein Kostüm darunter zu finden ist, das ihren Ansprüchen genügt. Für die Mantelabteilung hat sie nur einen flüchtigen Blick übrig, weil es ihr töricht erscheint, bei sommerlicher Hitze einen dicken Mantel zu kaufen. Überdies kann sie sich daran erinnern, in ihrem Schrank in ihrer Wohnung in Peine zwischen Hannover und Braunschweig mindestens drei leichte Sommermäntel und zwei Wintermäntel hängen zu haben. Mit Vorliebe trägt die Reporterin jedoch Jacken aller Art, und Mäntel führen in ihrem Leben eigentlich nur ein Schatten- oder Schrankdasein. „Einen Blick auf die Lederjacken werfe ich doch noch mal. Vielleicht habe ich vorhin eine günstige übersehen“, geht es ihr durch den Kopf. Und die Bilder von der Modenschau wirken noch nach.
Helen ist vom Angebot der Lederjacken ganz und gar entzückt. „Riesig“, ist ihre Meinung. Ob Wildleder oder Glattleder, ein Teil ist anziehender als das andere. Die 26jährige kann sich kaum entscheiden, welches Modell sie zuerst anprobieren soll. Und da keine Verkäuferin in der Nähe zu sehen ist, versucht sie es zuerst mit dem Wildleder. „Wenn die Jacken nicht so teuer wären“, überlegt Helen und wägt ab, ob sie bis zu 300 Euro wirklich ausgeben könnte. Sie ist noch unentschlossen. „Ich könnte es mit Wildleder versuchen, aber das Glattleder sieht auch hübsch aus“, ist ihre Argumentation. Sie beschließt, eine Glattlederjacke zum Vergleich anzuprobieren.
Sie hat sich im Spiegel betrachtet und ist immer noch unentschlossen. „Am besten ich lasse es. Eigentlich habe ich genügend Jacken zu Hause. Oder ich überlege es mir noch.“ Mit diesen Gedanken beschließt sie, jetzt erst ein Mittagessen zu sich zu nehmen. Denn sie verspürt Hunger, und ein erneuter Blick auf die Uhr sagt ihr, daß es gleich 12 ist.

Der Kameramann hat dem Producer auch seine Erfahrungen in Japan, in Australien und in den arabischen Ländern mitgeteilt, und der Manager ist anscheinend beeindruckt. Selbstverständlich weiß er über Stau-Events mehr als er gegenüber Pete erwähnt hat, aber er möchte herausfinden, ob jener in seinen Erzählungen übertreibt oder ob er realitätsnah bleibt. Denn die Produktionen, die sein Haus gestaltet und vertreibt, sollen zwar künstlerisch aufbereitet sein, aber ansonsten auch voll die Wirklichkeit spiegeln. Denn die Kundschaft oder Seherschaft des ADACT besteht überwiegend aus Realos, also mehr oder weniger Millionen von Otto-Normal-Verbrauchern, die reine Kunstwerke weniger schätzen, aber jede Menge Action vorgeführt haben wollen.
Der Producer hat das Gefühl, daß Pete, den er als Peter kennengelernt hat, sein Mann ist. Und er macht ihm nach 55 Minuten ein Angebot: „Sie können für uns in Eigenverantwortung drehen. Wie sie sich als Firma nennen, das ist uns egal. Ich gebe Ihnen den Job. Sie würden allerdings formal als Subunternehmen für eine Stockholmer Firma tätig sein, die für uns arbeitet. Der Job würde sich auf ein Jahr inklusive zehn Staus in Europa erstrecken. Sie müßten jedoch unterschreiben, daß sie bei allen Staus für uns tätig sind. Die Bezahlung richtet sich nach den üblichen Sätzen, zuzüglich Spesen und besonderen Ausgaben. Wir würden, wenn Sie es wünschen, alles Material und die Geräte stellen. Sie hätten die Produktion vom Drehbuch an zu übernehmen und uns die fertigen Produkte abzuliefern. Falls Spezialeffekte oder Schneidemaßnahmen erforderlich sind, würden wir das übernehmen beziehungsweise Ihnen Büros nennen, in denen Sie arbeiten lassen können. Das gleiche gilt auch für die Vertonung, für den eventuellen Einsatz von Überblendtechnik und anderes, was eventuell noch anfällt. Könnten Sie sich damit einverstanden erklären?“
Pete fühlt sein Herz stärker klopfen. Denn ein solches Angebot, wie es ihm sein Namensvetter Peter gemacht hat, das bekommt er nicht jeden Tag. Allerdings: er will wissen, ob auch der Bajuwarian-Stau in der Offerte inbegriffen ist. Und als das der Producer bejaht, drückt er ihm die Hand, und mündlich ist der Vertrag perfekt. „Ich schicke Ihnen das Schriftliche per Post zu“, mit diesen Worten des Managers wird das Gespräch beendet, und Pete fährt wenige Minuten später im Aufzug nach unten; aufgerüttelt, überglücklich, aber gedanklich aufgewühlt und durcheinander fast wie bei seinem Eintreffen.
Erst als er das Haus durch die Drehtür verläßt, wird ihm bewußt, daß der nette Mann von vor einer Stunde nicht mehr am Tresen gesessen hatte. „Er wird wohl schon in die Mittagspause abgeflogen sein“, fährt es dem 30jährigen durch den Kopf. Dann atmet er in der von vielen Gerüchen und Abgasen geschwängerten sogenannten frischen Luft draußen tief durch. „I`m lucky. Was für ein Tag heute.“

Helen steht an der Rolltreppe, als ihr Blick auf einen Wegweiser durch das Haus fällt: „Restaurant, Stockwerk 5“ liest sie, Kurz überlegt: „Was könnte günstiger sein? Ich fahre upstairs, die Rolltreppe hinauf.“ Und schon ist die 26jährige auf dem Weg ins Kaufhausrestaurant.
Allerdings: im Vorbeigehen schmeichelt der Reporterin eine Anzahl attraktiver Schals auf einem kleinen Tisch. Vor allem Seidentücher in schönen Farben scheinen cheap zu sein. Helen überlegt nicht lange: „Sicher, it’s sommer time, jetzt ist ein solches Tuch nichts. Aber im Herbst ist es auch als passender Schal hervorragend. Ich kaufe mir eines.“
Sie wählt sich ein Tuch in dunkleren Farben aus, und es gefällt ihr zudem ein Teil in sehr hellen Tönen, farblich dezent gemustert. Sie beschließt, beide mitzunehmen und bezahlt die relativ preiswerten Stücke an der Kasse. In einer kleinen, unscheinbaren Tüte ist die Seide leicht untergebracht. Die 26jährige freut sich über die käufliche Eroberung. Ihre Augen leuchten, als sie dann dem Restaurant weiter zustrebt.

Pete ist einige Meter durch die Innenstadt von München gezogen und hat hin und wieder einen Blick in Schaufenster von verschiedenen Geschäften geworfen. Allerdings interessiert ihn momentan nichts am Einkaufen. Noch immer schleppt er seine Plastiktüte mit sich herum, in der er seine alten Kleidungsstücke untergebracht hatte, nachdem er sich vor seinem Besuch beim ADACT in einem der Kaufhäuser neu eingedressed hatte.
Eigentlich hatte er im Hotel vorbeigehen wollen, um die Sachen dort zu deponieren, aber aus Zeitgründen, weil er auf keinen Fall hatte zu spät kommen wollen, hatte er das kühne Wagnis auf sich genommen, mit der großen, ausgebeulten Plastiktüte eventuell unangenehm aufzufallen. Beim ADACT-Besuch war es ihm aufgrund seiner Nervösität gar nicht bewußt gewesen, daß er die ganze Zeit über seine Plastiktüte mit sich herumgetragen hatte. Noch nachträglich wird es ihm ganz seltsam im Magen, wenn er daran denkt, daß er ja selbst im Managerbüro mit seiner Tüte gewesen ist: „Warum der Typ wohl nichts dazu getalked hat?“ Diese Frage beschäftigt ihn, als er an einem großen Kaufhaus vorbeischlendert.

Im Restaurant registriert Helen im Wohlgefühl eines erfolgreichen Kaufabschlusses noch viele freie Plätze, denn anscheinend kommt die Mehrzahl der Gäste nicht unmittelbar um 12 Uhr, sondern erst wenig später. Sie steuert auf einen der freien Tische zu und nimmt Platz. Der Griff zur Speisen- und Getränkekarte ist eins. Schnell findet die 26jährige ein Menue, das ihren Appetit anregt. Einen Filettopf nach Schweizer Art mit Salat, Vorspeise und Nachspeise wählt sie aus, und schon ist die Bedienung da, um die Bestellung aufzunehmen. Als Getränk sucht sich die Reporterin eine Cola aus, und dann heißt es erst einmal warten.

Pete hat einen der Kaufhauseingänge passiert und nähert sich einem weiteren, der ebenfalls sowohl als Eingang wie auch als Ausgang dient. „Soll ich dort etwas essen?“, das fragt sich der Kameramann, der aufkommenden Hunger verspürt.
Seine Entscheidung fällt schnell: „Ich gehe hinein. Besser ich esse nun etwas als wenn ich nachher vor Hunger sterbe. Bis ich Helen gegen 14 Uhr vor dem Bahnhof treffe, sind es noch rund zwei Stunden hin.“

Zum selben Zeitpunkt kurvt auf einem Parkplatz vor einer Raststätte hinter Heilbronn auf der Autobahn in Richtung Hockenheimring und weiter nach Köln ein großer Auflieger ein. Jesus, der Mann mit dem Stetson, sitzt am Lenker und hat furchtbaren Kohldampf. Seit 6 Uhr hat er nichts mehr gegessen. Der letzte Happen war eine dünne, mit Schinken belegte Scheibe Brot gewesen, die er noch vom Vortag übrig gehabt hatte.
Jesus fährt nun schon mehrere Stunden lang und hatte zuvor viel Zeit an Auf- und Abladezeit hinter sich gebracht. Seine Müdigkeit, die ihm besonders gegen 9 Uhr zu schaffen gemacht hatte, als seine Augenlider immer schwerer zu werden schienen, scheint verflogen zu sein. In der warmen Sommersonne jedoch ist sein körperlicher Zustand nicht gerade als frisch zu bezeichnen. Jesus muß sich stark zusammenreißen, um nicht laufend gähnen zu müssen. Er hat beschlossen, sich eine oder zwei Kannen Kaffee und etwas Eßbares einzuverleiben. Außerdem will Jesus kurz duschen gehen, um wieder einigermaßen auf Reihe zu kommen. Bei einem Schnellrestaurant, das der Trucker zur Genüge von vielen Stopps her kennt, sind in den Toilletenräumen großzügige Duschen zu finden.

Helen hat ihre Cola und ihr Essen erhalten und ist sich sogleich sicher, richtig gewählt zu haben: “Das Essen duftet herrlich und sieht ganz appetitlich ist“, anerkennt sie, nachdem ihr schon eine Rahmtomatensuppe als Vorspeise gemundet hatte. Ihr Blick fällt hin und wieder auf den Eingang des Restaurants, das sich mehr und mehr füllt. Noch sitzt sie jedoch allein am Tisch.

Pete findet den Aufzug in das fünfte Stockwerk im Kaufhaus schnell, denn der Hinweis auf ein dortiges Restaurant ist im Erdgeschoß nicht zu übersehen. Schon steht er im Eingang zum Restaurant und schaut in den großen Raum hinein. Unwillkürlich hat er den Eindruck, daß viele Menschen nur auf ihn und auf die Plastiktüte in seiner rechten Hand blicken. Denn sie trägt groß und breit einen unübersehbaren Audruck, der nichts gemein hat mit dem Geschäft, in dem er sich gerade befindet.
Der Kameramann will sich gerade entscheiden, an einen noch freien Tisch zu streben, als er im hinteren Eck des Restaurants eine Frau sitzen sieht, die ihm wohl bekannt ist. „Das ist doch Helen“, registriert er gleichermaßen mit Verwunderung und mit Freude. „Was für ein Zufall.“ Er hätte sich nicht einmal im Traum vorzustellen gewagt, sie hier anzutreffen. „Aber umso besser“. Das Glücksgefühl, das er jetzt verspürt, ist ihm noch neu. Selten in seinem Leben, wie sich der 30jährige erinnert, hat ihn ein Meeting derart erregt. Er entscheidet sich, sie zu überraschen.

„Bumm, bumm, klopf, klopf“. Erika steht lauschend und abwartend in ihrer Wohnung vor der Tür des Zimmers, in dem Patrik und Linda unüberhörbar noch schlafen. Insbesondere der Outlaw schnarcht, daß sie die Balken biegen. „Wie macht das Linda, daß sie dabei nicht aufwacht?“, fragt sich Erika und klopft erneut an, denn nichts scheint sich im Raum zu regen.
Die Münchnerin, die selbst gegen 10.30 Uhr aufgestanden ist, hat schon abgeräumt, aufgeräumt, abgewaschen, abgetrocknet und zudem frische Brötchen und noch einige andere Teile vom Bäcker geholt. Frischer, dampfender Kaffee steht in der Warmhaltekanne auf dem mit allerlei Köstlichkeiten gedeckten Tisch. „Jetzt werde ich sie aber wecken“, ist sich Erika sicher, und nochmals bummert sie gegen die Tür, diesmal um einige Grade heftiger als zuvor.

Jesus sitzt frisch rasiert, geduscht und sauber an einem kleinen Tisch im Schnellraustrant an der Autobahn. Er hat sich zwei halbe Hähnchen und Kartoffelsalat sowie ein großes Glas mit Apfelsaft besorgt, weil der Kaffee erst zubereitet werden mußte, und er genießt nun das Getränk und das gute Essen, wie er es sieht. Er fühlt sich wie neugeboren, und seine dunklen Augen strahlen noch einen Deut mehr als sonst. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ würde der Trucker singen, wenn er seine Stimmbänder bemühen würde. Aber er beschränkt sich darauf, viel und schnell zu trinken und die Kaumuskeln zu trainieren. Die braune gepfefferte Haut des Hähnchens und dessen weißes Fleisch sind die Lieblingshäppchen des 29jährigen, der auf seinen Touren pro Woche mindestens dreimal Hähnchen bestellt und mit großem Vergnügen in sich hineinschaufelt. Wenn andere von einem halben Gegrillten satt sind, dann ordert Jesus für sich normalerweise die zweite Hähnchenhälfte als zweiten Gang.
Heute hat der Trucker eine Ausnahme gemacht und gleich auf einmal zwei Hähnchenhälften gekauft, weil er ungewöhnlichen Hunger hat und keine Sekunde an Zeit verlieren will, ehe er das Gefühl des Sattseins erreicht hat. Jesus ißt nicht, er schlingt, und es ist ihm egal, was die herumsitzenden Menschen von ihm denken.

Helen speist, wie es sich für eine Dame gehört. Sie benutzt das Messer und die Gabel so elegant beim Essen, daß es eine Freude ist, ihr dabei zuzuschauen. Zwischendurch nippt sie hin und wieder an ihrem Glas, und aufmerksam schweift ihr Blick mal hierhin, mal dorthin. Sie ist ganz auf ihr Menue konzentriert, als sie hinter sich, fast neben sich, eine Stimme vernimmt: „Entschuldigen Sie. Ist bei Ihnen noch ein Platz frei?“
Die 26jährige ist nicht gewillt, ihren Kopf zu verdrehen, um den Fragenden sehen zu können. Aber die Reporterin hat einen Klang registriert, der ihr irgendwie bekannt vorkommt. Sie hält inne beim Kauen, legt Messer und Gabel beiseite und lauscht nach rückwärts: „Sagt der Mann noch was?“
Der ihr bis dahin nicht Sichtbare aber schweigt. Und Helen neigt ihren Kopf zur Seite, kann aber nichts erkennen. Dann gewinnt ihre Neugier, und sie dreht sich nach dem Fragenden um.

„Was ist denn. Ist etwas nicht in Ordnung?“, hört Erika die schlaftrunkene Stimme von Patrik, dem Linda, schon aufrecht auf der Liege sitzend, bedeutet hat, sich vernehmlich zu melden.
Erika lächelt: „Ihr müßt aufstehen, Ihr Schlafbolde. Es ist bereits nach 12 Uhr. Der Frühstückstisch ist schon gedeckt.“
„Wir haben Dich gehört. Wir kommen“, vernimmt Erika Lindas Stimme, die ihr wesentlich frischer vorkommt als die von Patrik.

Jesus hat den ersten starken Hunger bereits erfolgreich bekämpft, als seine Gedanken zu Erika wandern, die ihm in der Nacht nach dem Besuch in dem Jazz-Lokal wie eine Fee vorgekommen war. Ihren Abschiedskuß und ihr Bild hat er selbstverständlich nicht vergessen, aber es fällt ihm siedend heiß ein, daß er sich ihre Telefonnummer nicht aufgeschrieben hat. „Ich bin doch ein Dummkopf. Daß ich das aber auch nicht vorher geblickt habe.“
Der Trucker muß sich eingestehen, ein Volltrottel gewesen zu sein. Er hat weder die Telefonnummer von Erika, noch kennt er ihren Nachnamen. Denn bei der Vorstellung und Nennung ihres Namens hatte er auf alles mögliche an ihr geachtet, aber den Nachnamen hatte er sich nicht gemerkt.
Jesus weiß zudem nicht, wie Patrik und Linda telefonisch erreichbar sind, und er hat auch keine Ahnung davon, wo Helen per Telefon anzutreffen sein könnte. Jetzt erst wird ihm das richtig bewußt. „Wo hatte ich nur meine Gedanken in München?“

Helen schaut einmal hin, blickt nochmal zu dem ihr bis dahin Unbekannten auf: „Ich werde verrückt, das ist Pete“, fährt es ihr durch den Kopf. Und schon springt sie von ihrem Stuhl auf und vergißt dabei ganz ihre guten Manieren: „Pete, das ist ja toll, daß wir uns hier treffen. Laß Dich umarmen“, ruft sie laut in den Saal und küßt ihn zur Begrüßung auf den Mund.
Es ist ihr peinlich, daß sie sich einen Moment lang ganz vergessen hat, aber ihre Freude siegt über alle guten Vorsätze. Und als der Kameramann sie ebenfalls küßt, läßt sie es einfach geschehen, ohne sich dabei zu genieren. „Komm setz’ Dich zu mir“, diese Aufforderung läßt Pete sich nicht zweimal sagen, und er nimmt ihr gegenüber Platz.
„Ist meine Überraschung nicht gelungen?“ Auf seine Frage hin lächelt Helen nur glücklich. Die Reporterin schweigt verliebt und genießt Petes Anwesenheit, während jener sie unverwandt anschaut und seine Gefühle ebenfalls nicht verbirgt.

Patrik und Linda suchen nacheinander zuerst das Badezimmer auf; waschen und kämmen sich. Linda-Lady legt zwar kein Rouge auf, benötigt auch sonst keine Puder und Cremes, aber sie braucht wesentlich länger als Patrik zum Frischmachen. Als sie am sogenannten Frühstückstisch erscheint, sind Erika und Patrik bereits dabei, sich das erste Brötchen mit Marmelade zu bestreichen. Linda bemerkt, daß Erika auch Frühstückseier für alle zubereitet hat, und sie anerkennt in Gedanken, „daß Erika ein nettes Mädchen ist.“ Daß Patrik die gute Aufnahme „real strong“ findet, überrascht Linda-Lady nicht, und Erika freut sich über das Lob.

Jesus hat seine Hähnchenhälften vertilgt und sitzt insofern satt und zufrieden am Tisch. Aber trotz Dauer-Nachdenkens fällt ihm nichts ein, wie er an die Telefonnummer von Erika kommen könnte. Auch ihre Adresse ist ihm unbekannt. Er weiß lediglich, daß sie „ein ganz süßer Schatz“ ist. Der Trucker hat das Gefühl, in ihr die Richtige getroffen zu haben. „Nun ja, spätestens bei meinem nächsten München-Besuch werde ich sie wiedersehen. Hoffentlich.“
Jesus muß noch einige hundert Kilometer weit fahren, und die Zeit drängt inzwischen. Er beschließt, sich wieder in die Route einzufädeln.

Pete hat sich ein Essen und etwas Trinkbares bestellt, und natürlich muß er zuerst von seinem Besuch beim ADACT erzählen. „Was hast Du erreicht?“, will Helen wissen, und als der Kameramann ihr seinen Erfolg mitteilt, streichelt sie verliebt über dem Tisch seine Hände:“Toll, ganz phantastisch, ich gratuliere Dir.“
Die 26jährige bringt das mit leiser Stimme hervor, flüstert fast, aber Pete versteht sie gut. „Übrigens, was sagst Du zu meinem Outfit?“. Dann deutet er, ohne Helens Antwort abgewartet zu haben, auf die neben seinem Stuhl liegende Plastiktüte: „Da sind meine alten Sachen drin. War doch gut, daß ich mir noch neue gekauft habe. Oder? Was hast Du Dir besorgt?. Du warst doch einkaufen?

Erika, Linda und Patrik haben gut gegessen, und die Gastgeberin bringt das Gespräch auf Jesus: „Wißt Ihr übrigens, wo ich ihn erreichen kann? Ihr habt doch sicher seine Telefonnumer.“
Linda-Lady und Patrik müssen leider verneinen: „No, sorry. Aber daran haben wir nicht gedacht. Wir wußten gestern im Stau schon nicht, wie wir ihn erreichen können, und jetzt sind wir genauso klug wie zuvor“.
Erika ist enttäuscht: „Habt Ihr wenigstens seine Adresse?“
Wieder ist die Antwort „nein“. Patrik und Linda wird es bewußt, wie wenig man sich manchmal kennt, obwohl man sich als Freunde weiß.
Erika hat ähnliche Gedanken im Kopf, als sie sich eingesteht, dumm gewesen zu sein. „Wie konnte ich es nur vergessen, mich danach zu erkundigen und mir das Ganze aufzuschreiben. Nicht einmal seinen Nachnamen weiß ich. Wo war ich nur mit meinen Gedanken?“

Helen schildert Pete ihre Einkaufserlebnisse mit Begeisterung in der Stimme: zwei Seidentücher habe sie gefunden. Aber ansonsten, und das teilt sie ihm bedauernd mit, habe sie überhaupt nichts entdeckt; im Gegensatz zu ihm, dessen neue Sachen ihr ausnahmslos gut gefallen. Und während jener bereits sein Essen bezahlt, nachdem Helen für ihres selbst aufgekommen ist, beschließen beide, noch gemeinsam einen Bummel durch die Stadt zu machen. Am Nachmittag will die Reporterin ihre Freundin Erika anrufen und sie davon in Kenntnis setzen, daß sich ihrer beider Abreise verschoben hat und sie im Hotel nachgebucht haben. Die Anwesenheit von Pete läßt Helen es vergessen, daß sie noch über den Kauf einer Lederjacke nachdenken wollte.

Patrik und Linda unterrichten Erika davon, daß sie ihre Wohnung bis gegen 14 Uhr verlassen würden: „Denn wir wollen uns noch etwas in München umschauen, ehe wir den Termin beim ADACT wahrnehmen werden. Und am Abend werden wir gleich wieder heimfahren.“

Pete und Helen haben den Fahrstuhl benutzt, um ins Erdgeschoß des Kaufhauses zu gelangen. Als sie an einer Vitrine mit Schmuck vorbeikommen, bittet der Kameramann Helen, sich kurz zu gedulden: „Waite a minute.“
Er benötigt nur wenige Minuten, dann überreicht er der 26jährigen ein schmales Kettchen mit einem kleinen goldigen Anhänger: „Das habe ich für Dich gekauft, das Bärchen wird Dir immer Glück bringen. Good luck.“
Helen ist gerührt, hat einen hochroten Kopf bekommen: „Danke“, flüstert sie und küßt ihn auf den Mund, und die dabei zuschauende Verkäuferin und mehrere Kunden lächeln und schmunzeln.
Engumschlungen verläßt das Paar das Kaufhaus. Lediglich die große Plastiktüte, die Pete in seiner linken Hand trägt, paßt nicht ganz in das ansonsten sehr harmonische Bild.